Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
Vom Netzwerk:
Grund, warum Nina Becher 1997 nach Deutschland zurückkam.«
    »Und der wäre?«
    »Tim.«
    Es dauerte einen Moment, bis Michaelis begriffen hatte. »Der Tim. Kurts Enkel.«
    »Ja, der Tim. Der ist nämlich in Sri Lanka geboren und war wohl der Anlass, warum sie ihr Engagement in diesem Land abgebrochen hat.«
    Nachdem Michaelis sich von Manzetti verabschiedet hatte, drehte er kurz vor dem Buchladen ab und ging in Richtung Steintorturm. Der Bücherklau musste warten, denn dazu fehlte ihm jetzt die nötige Konzentration. Im Moment wollte er lieber weiter über Tims Mutter nachdenken. Er hätte gerne mehr über ihre Aufenthalte im Ausland erfahren und über ihren Sohn. War doch Nina die zentrale Figur in diesem Spiel? Er musste sie unbedingt wieder aufsuchen, denn ohne ihre Hilfe, davon war er überzeugt, würde er nicht einen Schritt weiterkommen.
    An einem türkischen Imbiss aß er einen Döner, komplett, mit scharfer Soße und Knoblauch, und beobachtete die Leute, die hektisch an ihm vorbeihetzten. Dann sah er wieder auf die Uhr. Noch zehn Minuten bis zu seinem Termin in der Kanzlei. In seinem Notizbuch notierte er, was das Telefonat mit Andrea Neues gebracht hatte und setzte hinter Ninas Namen ein riesiges Fragezeichen.

    ***

    »Guten Tag.« Malte Richter stand im Foyer seiner Anwaltskanzlei und hielt ihm die rechte Hand entgegen. Der Mann sprach mit tiefer Stimme und ohne jeglichen Akzent. Lupenreines Hochdeutsch. Er war klein und hager, ohne übertrieben dünn zu wirken. Seine sehnigen Arme verrieten häufige sportliche Betätigung, und Michaelis schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Er hätte schwören können, dass Richter entweder gar keine oder eine relativ junge Lebenspartnerin hatte. Irgendwie war er der Typ dafür. Die teure TAG-Heuer-Brille, die Krawatte, sein Eau de Toilette und die akkurat geschnittenen Kanten im Nacken und an den Ohren; alles stimmte und war auf Perfektion getrimmt.
    »Guten Tag, Herr Richter. Danke, dass Sie Zeit für mich haben.«
    Richter ließ die Hand von Michaelis los und nickte einer seiner Sekretärinnen zu.
    »Wir müssen uns aber beeilen. Ich habe nämlich Silvesterkarten«, sagte Richter mit einem Lächeln, für das er sicherlich viele Stunden geübt hatte. Auch Michaelis musste lächeln, denn der Spruch gefiel ihm.
    Richter ergriff ihn beim Arm und zog ihn zur Tür. »Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie mich in die Mittagspause begleiten. Mehr ist nicht drin, tut mir leid.«
    »Das macht nichts. Ich könnte auch eine Kleinigkeit vertragen, ich habe noch nichts gegessen«, log er, aber essen konnte er den ganzen Tag. Anders war sein Gewicht nämlich nicht zu halten.
    Malte Richter nickte und griff in die Tasche seiner Hose, die sich durch eine akkurate Bügelfalte ohne Furcht und Tadel auszeichnete. Als er Michaelis ein sorgfältig gefaltetes Taschentuch reichte, sagte er: »Aha, nur eine Kleinigkeit. Ist Ihnen das Al Dente recht? Da können Sie auch alles mit Knoblauchsoße bekommen.«
    Als Michaelis mit dem feudalen Taschentuch in der Hand an sich hinuntersah, blieben seine Augen am eigenen Bauchansatz hängen. Ein fingernagelgroßer Fleck Dönersoße wartete darauf weggewischt zu werden.
    »Oh«, sagte er und nahm den Kopf wieder hoch. Er schaute auf blütenweiße Zähne eines amüsierten Anwalts, dem er das Taschentuch wieder in die Hand drückte.
    »Fingerfood.« Mit dem Zeigefinger wischte er den Fleck weg und leckte ihn anschließend genussvoll ab.
    Im Al Dente waren nur wenige Tische besetzt. Der Kellner führte sie am Tresen vorbei in einen weiteren Raum und legte zwei Speisekarten vor sie hin. Sie bestellten, wozu Richter keinen Blick in die Karte werfen musste. Michaelis entschied sich für einen Pinot Grigio und eine Pizza Calzone, denn der Döner war bereits irgendwo in den Niederungen seines Verdauungstraktes verloren gegangen.
    »Womit kann ich Ihnen helfen, Herr Michaelis?«
    Der spielte mit den Fingern über dem Tischtuch. »Ich komme nicht in eigener Sache …«
    »Das dachte ich mir. Es geht um Kurt Becher, oder?«
    Michaelis sah den Anwalt mit großen Augen an und öffnete halb den Mund. Er fühlte sich, als erwache er aus einem Traum.
    »Sie wundern sich? Der Selbstmord war zumindest an einem Tag auch in Ihrer Zeitung das beherrschende Thema. Und nun soll wohl der zweite Teil folgen.«
    Nein, wollte Michaelis entgegnen, stoppte aber, denn es war klar, dass Richter genau das denken musste. Diesen Trugschluss musste er schnellstens ausräumen.

Weitere Kostenlose Bücher