Haveljagd (German Edition)
Untätigkeit nervte ihn. Aber was sollte er machen? Sollte er wild durch die Nacht rennen? Sollte er von Kneipe zu Kneipe ziehen und die Fotos von Werner und Tim herumzeigen? Das konnte es nicht sein, und das würde an der Situation der beiden auch gar nichts ändern. Er brauchte etwas anderes, ein Motiv, die Erkenntnis, warum jemand vier Menschen umgebracht und zwei andere in seiner Gewalt hatte. Hoffentlich noch in seiner Gewalt hatte, setzte er in Gedanken hinzu. Er wollte lieber nicht daran denken, dass diese Person das Konto inzwischen auf sechs Tote aufgestockt haben könnte.
Über seinem Kopf kreisten mehrere Fledermäuse, die sich schon während der Dämmerung unter die Schwalben gemischt und nun die Luftherrschaft gänzlich übernommen hatten. Völlig lautlos glitten sie an der Hauswand vorbei. Manzetti schloss die Augen und wünschte sich, er könne auch Ultraschallsignale aussenden, Strahlen, die ihn zu Tim und Werner führen würden. Aber das ging natürlich nicht. Er musste sich mit anderen, viel profaneren Methoden begnügen. Er musste nachdenken.
Und in den nächsten Versuch hinein krächzte seine unfreundliche Klingel.
Er wartete einen Moment, aber als es wieder klingelte, war klar, dass es keine Jugendlichen waren, die alkoholisiert ihren Mut dadurch dokumentierten, dass sie auf jeden Klingelknopf drückten, der auf ihrem Weg lag.
Er nahm den Hörer der Wechselsprechanlage in die Hand. »Ja, bitte.«
»Herr Manzetti? Ich möchte gerne mit Ihnen reden.«
Manzetti zögerte einen kurzen Moment, nicht weil er sich dem Gespräch zu verweigern gedachte, sondern weil er viel zu überrascht war. Dann drückte er auf den Knopf mit dem Schlüsselsymbol.
Auf dem Flur hörte er seinen Gast die letzten Stufen mit schweren, schleppenden Schritten nehmen. Dann stand er endlich vor ihm. »Danke, dass Sie sich Zeit nehmen«, sagte Siegward von Woltersbrück und reichte Manzetti die Hand.
»Keine Ursache«, erwiderte der und bat den Oberstaatsanwalt herein.
Auf dem Balkon stellte Manzetti zwei Weingläser und eine Flasche Barolo auf den Tisch und sah zu, wie von Woltersbrück die Gläser seiner rahmenlosen Brille mit seinem seidenen Einstecktuch putzte.
»Ein Glas Rotwein?«, fragte er.
»Gerne.«
Manzetti goss ein, setzte sich und nahm sein Glas. Das andere blieb unberührt vor von Woltersbrück stehen. Der Staatsanwalt sah bedrückt aus. Wer konnte ihn informiert haben? Parteifreunde, wenn er denn welche hatte, jemand aus der Staatsanwaltschaft oder gar aus dem Justizministerium? Claasen, da war sich Manzetti sicher, hatte diesen Mut gewiss nicht aufgebracht, der taktierte lieber aus dem Hinterhalt.
»Worüber möchten Sie denn mit mir reden?«, fragte Manzetti. Mit Blick auf die Uhr wollte er das Gespräch endlich in Gang bringen.
Der Staatsanwalt sah ihn an. »Ich habe einen großen Fehler begangen.« Dann schweifte sein Blick in die umliegende Dunkelheit.
»Und welchen meinen Sie? Ich glaube, Sie haben mehrere gemacht.«
Von Woltersbrück nickte und holte seinen Blick wieder zurück. »Ja, es waren wohl mehrere Fehler. Es tut mir leid.«
»Aber deswegen sind Sie ja bestimmt nicht gekommen.«
»Nein, natürlich nicht. Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen, aber ich kann Ihnen helfen, Schlimmeres zu verhindern.«
Manzettis Blick fiel wieder auf die jagenden Fledermäuse und ihre hektisch wirkenden Flugmanöver. »Wie wollen Sie mir denn helfen?«
Der Staatsanwalt änderte seine Körperhaltung. Man konnte meinen, er würde gleich seine Aktentasche öffnen und bunte Hochglanzprospekte teurer Mittelmeervillen auf den Tisch legen. »Ich kenne Sie schon sehr lange, Herr Manzetti, und auch wenn wir uns nie wirklich nahekamen, habe ich sehr großen Respekt vor Ihrer Arbeit.«
Manzetti wurde misstrauisch. »Vor meiner Arbeit oder vor meiner Abstammung?«
»Das eine bedingt doch das andere, oder? Von uns Adligen verlangt man per se gute Arbeit.«
Manzetti war fassungslos. War das hier etwa der Versuch, über die adlige Schiene den Kopf aus der Schlinge zu ziehen? »Herr von Woltersbrück, falls Sie glauben, in mir einen Verbündeten zu finden, dann sind Sie schief gewickelt. Ich habe im Moment nur ein einziges Interesse.«
»Ich weiß«, versicherte von Woltersbrück. »Sie möchten das Leben Ihres Freundes und das meines Sohnes retten.«
Manzetti nahm einen Schluck Barolo und versuchte, dem Unschuldsblick seines Gegenübers auszuweichen. »Habe ich das richtig verstanden? Sagten Sie
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