Haveljagd (German Edition)
eben: Das Leben Ihres Sohnes?«
»Sie wissen es doch längst, oder? Selbst die Parteispitze und meine dienstlichen Vorgesetzten haben davon Kenntnis. Also, warum noch abstreiten?«
Manzetti war überrascht von so viel Offenheit. »Warum haben Sie sich nicht schon bei Tims Geburt zu ihm bekannt?«
Von Woltersbrück nahm sich nun auch sein Glas und lehnte sich zurück. »Ich habe nicht einmal gewusst, dass es ihn gibt.« Er sah nun wieder in die Dunkelheit, als stünde da jene Instanz, die ihm seine Rabenvaterschaft vergeben würde. »Susanne, meine Frau, ist intelligent, aber leider vollkommen ungebildet. Sie hatte noch nie großes Interesse an Literatur, Musik oder anderen kulturellen Angeboten, sie empfand diese Dinge immer nur als eine günstige Gelegenheit, als eine Art Bühne, sich selbst zu inszenieren. Sie war nie einfach nur Frau von Woltersbrück, die außer einem Schulabschluss nichts weiter hingekriegt hatte, sie war immer die Frau des Oberstaatsanwaltes und hatte schon deshalb unheimlich viel um die Ohren.«
Manzetti konnte sich nicht vorstellen, was man da so alles um die Ohren hatte, denn Kerstin trug die Belastung mit den Mädchen, den Haushalt und ihren Beruf, und alles ohne zu stöhnen.
»Und leider«, setzte von Woltersbrück fort, »nutzte sie ihre Zeit nur, um sich mit gleich gesinnten Damen zu treffen und darüber zu reden, wie anstrengend doch so ein arbeitsfreies Leben ist.«
»Wieso leider?«
»Wieso leider?«, wiederholte von Woltersbrück und trank einen Schluck Rotwein. »Weil sie irgendwann feststellte, dass sie die einzige in der Runde war, die kein Kind hatte.«
»Oh, ich verstehe. Und das sollte dann anders werden?«
»Ja. Von da an wurde sie richtig hysterisch. Immer wenn wir durch die Stadt gingen und uns junge Mütter mit ihren Kinderwagen begegneten, brach sie auf offener Straße fast zusammen. Sie heulte einfach los und fing sich erst Minuten später wieder. Schlimmer war es noch, wenn sie Schwangere sah, die sich über ihren runden Bauch strichen.«
Manzetti musste unweigerlich an die Unterredung mit Bremer denken. »Und wir dachten, dass gerade Ihre Frau eine eigene Schwangerschaft vehement ablehnen würde.«
»Sie meinen wegen ihres Äußeren?«
Manzetti nickte.
»Dieser Schönheitswahn setzte erst später ein. Nein, Susanne wollte ein Kind, und sie wollte es auch selbst austragen. Sie glauben gar nicht, was wir alles angestellt haben. Hormonbehandlungen, unzählige Versuche der künstlichen Befruchtung, und alles haben wir geheim gehalten.«
»Warum?«
»Niemand sollte erfahren, dass wir nicht in der Lage waren, auf natürlichem Weg für Nachwuchs zu sorgen. Ihr Plan bestand darin, eines Tages ihren Freundinnen den positiven Schwangerschaftstest unter die Nase zu halten.«
»Aber daraus wurde nichts.«
»Nein. Außer Enttäuschungen, Tränen und Ausgaben in Höhe von vielen Tausend Euro hatten wir nichts vorzuweisen.«
Manzetti schaute den Staatsanwalt an und zum ersten Mal seit vielen Jahren glaubte er zu bemerken, dass von Woltersbrück über so etwas wie Gefühle verfügte.
»Und wie ging es dann weiter?«
»Wissen Sie«, von Woltersbrück stellte sein Glas ab, »wir Deutschen sind schon ein komisches Volk. Aufgrund unserer so hochgelobten weiblichen Emanzipation beträgt das Durchschnittsalter einer Mutter bei der ersten Geburt ungefähr einunddreißig Jahre. Wohlgemerkt, das Durchschnittsalter! Das heißt, es gibt sehr viele, die deutlich älter sind, und das führt dazu, dass rund fünfzehn Prozent aller deutschen Paare die Hilfe der Medizin brauchen.«
»Sie reden von künstlicher Befruchtung?«
»Auch. Und davon, dass die Erfolgsaussichten massiv überschätzt werden. Lässt man sich von den Versprechen der Kliniken, die nicht mehr Wahrheiten enthalten als die Wahlkampfreden von Politikern, nicht hinters Licht führen, dann muss man konstatieren, dass nur vierzehn Prozent aller künstlichen Befruchtungen zu einer erfolgreichen Lebendgeburt führen.«
Selbst wenn das so wäre?, fragte sich Manzetti insgeheim, was hat das mit Tim und mit Werner zu tun?
»Ich verstehe aber nicht, wie Sie mir damit helfen können? Ich habe noch immer den Eindruck, Sie wollen den von Ihnen und Ihrer Frau gewählten Weg der Leihmutterschaft moralisch vor mir rechtfertigen?«
»So, haben Sie das? Das war aber nicht von mir beabsichtigt. Ich wollte Ihnen lediglich schildern, wie meine Frau tickt.«
»Ihre Frau?«, fragte Manzetti und machte aus seiner Verwunderung kein
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