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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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fünf Männer mit bunten Schürzen, hochgekrempelten Ärmeln und Hausschuhen mit Mäusegesichtern. In der Mitte dieser Heinzelmännchenbrigade stand Arno mit dem typischen Lächeln aus seinen schielenden Augen.
    Erst eine halbe Stunde später, als auch das letzte Spiegelei unter lautem Applaus verdrückt war, konnte Manzetti wieder mit Christian Wagner reden. „Sie wirkten vorhin sehr traurig, als Sie von Mario sprachen.“
    „Das kann sein“, gab der Zivi ohne Zögern zu. „Mario ist ein ganz besonderer Mensch, denn er ist sehr intelligent.“
    „Meinen wir dieselbe Intelligenz?“ Langsam spürte Manzetti, wie unvorbereitet er hier eingebrochen war.
    „Ich denke schon. Mario gehört eigentlich nicht hierher, aber es ist kein Geld da, um ihn ausreichend zu fördern.“
    Manzetti sah sich in der Küche um, die in nichts der seinen nachstand, weder im Mobiliar, noch in der Qualität der technischen Geräte. „Das hier sieht aber alles andere als verkommen aus“, stellte er daraufhin fest.
    „Ist es ja auch nicht. Aber es bleibt eine Verwahranstalt. Wissen Sie,“ der junge Mann steckte sich am Fenster eine Zigarette an, „Mario zum Beispiel kann nicht lesen und schreiben. Wie übrigens seine Mitbewohner auch nicht. Aber Mario könnte es lernen.“
    „Das ist jetzt auch wieder Ihre eigene Meinung, oder?“, fragte Manzetti mit skeptischem Unterton.
    „Sicherlich. Aber ich kann im Gegensatz zu vielen anderen meine Einschätzung auch belegen.“ Er nahm Manzetti, den Vertreter des Staates, scharf ins Visier, schien sich dann aber sofort wieder zu entkrampfen. „Ich möchte Lehrer werden, und das am liebsten für Sonderschulen. Zugegeben, ich stehe noch vor dem Studium, aber ich habe mich trotzdem schon sehr intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt.“
    Manzetti musste unweigerlich auf den langen Pferdeschwanz gucken, den der Zivi ihm zudrehte, als er den Zigarettenrauch aus dem Fenster blies, und auf den großen Ring, der sein Ohr schmückte. „Wie ist er sonst, Ihr Mario?“
    „Er ist nicht ganz so behindert wie die anderen fünf, und er ist begabt.“
    „Worin?“
    „Musik“, sagte der Zivi. „Mario liebt klassische Musik. Mozart, Mendelssohn, Schumann. Manchmal gehe ich mit ihm zu den Brandenburger Symphonikern. Und weil kein Geld für Konzertkarten da ist, dürfen wir bei den Proben zuhören, wenn wir ganz still sitzen.“ Er schmunzelte. „Mario lässt es sich aber nicht verbieten zu klatschen, auch wenn er dafür vom Dirigenten bereits einen bösen Blick bekommen hat. Eigentlich mag er Mario, aber er hat immer an den Stellen applaudiert, mit denen der Dirigent nicht zufrieden war und darum hart mit seinem Orchester ins Gericht ging.“
    „Und wie ging das in der Regel aus?“, fragte Manzetti, der an dieser Stelle nicht nur aus dienstlichen Gründen neugierig war.
    „Der Dirigent ließ sich davon nicht beeindrucken und die Passagen trotzdem wiederholen. Ich erinnere mich an eine Probe der 5. Symphonie von Beethoven. Die Hörner mussten dreimal ran, ehe der Dirigent endlich mit der Passage zufrieden war.“ Der junge Mann schloss das Fenster. „Mario aber liebte seine Symphoniker und diese Liebe machte ihn gegenüber dem Orchester schon fast blind. Deshalb war er nicht in der Lage zu erkennen, was zu kritisieren gewesen wäre.“
    „Sie sprachen eben in der Vergangenheitsform, als Sie von den Theaterbesuchen erzählten“, sagte Manzetti, der endlich vorankommen wollte. „Das wundert mich, denn es hörte sich so an, als sei es abgeschlossen, quasi ohne Fortsetzung.“
    „Nun, Mario kam heute Morgen völlig verstört nach Hause und ist seither nicht zu erreichen. Er wird für eine sehr lange Zeit nicht ansprechbar sein. Wahrscheinlich bin ich dann schon gar nicht mehr hier und werde somit auch nicht mehr mit ihm ins Theater gehen können.“
    „Darf ich Mario sehen?“, fragte Manzetti plötzlich.
    „Ich habe nichts dagegen.“ Er ging voraus in den Flur. Am Ende des Ganges öffnete er ohne anzuklopfen eine helle Tür.
    „Bitte … das ist Mario.“
    Manzetti trat einen Schritt in das Zimmer, das nur durch die Schreibtischlampe beleuchtet war. Auf seinem Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, saß Mario Schmidt und starrte apathisch in die Luft.
    „So sitzt er seit heute früh um sechs Uhr. Wie in Wachs gegossen.“
    Manzetti trat näher an Mario heran, kniete sich schließlich vor ihn und versuchte, in die Augen des etwa dreißig Jahre alten Mannes zu sehen. Der aber drehte seinen

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