Havelwasser (German Edition)
Geldstücken aufwarten konnte.
Wo nur lag der Schlüssel? Wo konnte er ansetzen?
Sollte Bremer Recht haben und die Motivlage doch im Bereich der Rache zu suchen sein? Das war nicht unmöglich, auch wenn seiner Meinung nach die Inszenierung mit den Münzen eher dagegen sprach. Aber wer sollte in diesem beschaulichen Städtchen solche großen Rachegelüste haben? Gegen einen Pfarrer und einen Lehrer?
Das alles passte nicht zu Brandenburg. Manzetti ließ seinen Blick am Ufer entlanggleiten und entdeckte einen weißen Schwan, der die Szenerie mit wachsendem Argwohn und fauchenden Zwischenrufen aus einiger Entfernung verfolgte. Ja, der gehörte hierher, der repräsentierte den Ort. Das prächtige Tier stand in seinem von der Morgensonne beschienenen strahlend weißen Gefieder am Rande des Schilfgürtels im gelblichen Sand, ganz steif, ganz starr und ganz majestätisch.
Dagegen stritten die Möwen mit großem Gezeter um das letzte Stück Brot auf dieser Erde. Das Tier, das ein von Spaziergängern geworfenes Stück Brot ergattern konnte, musste leiden. Alle anderen traktierten es mit Schnabelhieben, Flügelschlägen und Kopfstößen, bis das Stück nach unten fiel, sich eine andere Möwe das Brot schnappte und der sinnlose Kampf von neuem ausbrach. Sinnlos, weil längst weitere Stücke im Wasser lagen und jeder etwas abbekommen hätte, wenn sie vernünftig teilen würden. Aber auch Möwen hatten manchmal so etwas Menschliches, dachte Manzetti.
„Na, Sonja. Ich nehme an, dass uns auch diesmal die Spaziergänger nicht weiterhelfen“, unterbrach sich Manzetti selbst.
„Genau. Die haben, wie in dem anderen Fall, den Toten lediglich gefunden. Keiner hat etwas gesehen, keiner hat etwas gehört und keiner weiß etwas. Aber wir kennen die Identität des Mannes schon.“
„Ich auch. Martin Becker. Und da waren es nur noch neun.“
„Was?“ Sonja fehlte jede Vorstellung, weshalb sie wiederholte: „Was neun?“
„Lehrer. Neun Lehrer, und dann sprang einer vom Fernsehturm, und da waren es nur noch acht. Wenn gar keiner mehr da ist, dann unterrichte ich meine Kinder eben selbst.“
„Hm“. Sonja war zu überrascht, um darauf zu antworten. Sie überlegte kurz und entschied sich, wieder auf den Mord einzugehen. „Ist alles wie gestern, oder?“
„Sieht ganz so aus.“
„Und nun? Wieder ein Unfall, wie es Claasen gern hätte?“
Manzetti schloss die Augen. „Ich weiß nicht … Das heißt, ich weiß es ganz genau. Das hier hat überhaupt nichts mit einem Unfall zu tun, und wir haben schon einen ganzen Tag verloren.“
„Womit fangen wir also an?“
„Mit den Opfern natürlich. Mehr haben wir ja nicht.“
„Gut“, sagte Sonja. „Ein Lehrer und ein Pfarrer. Was können die gemacht haben, um so aus der Welt befördert zu werden?“
„Werden wir herausfinden müssen. Lass uns aber erst über etwas anderes nachdenken.“
„Und worüber?“
„In der Hose des Pfarrers steckte eine Fahrkarte der deutschen Bahn von Potsdam nach Brandenburg.“
„Von wann?“
„Na von dem Tag, an dem er ermordet wurde. Er hat sich, ohne Bescheid zu sagen, in der Früh aus dem Staub gemacht. Die Mitarbeiterin im Pfarramt hat ihn zufällig gesehen und dachte, dass er nur kurz eine Besorgung machen wollte.“ Er zog sein Kinn hinunter an den Hals.
„Das ist doch nicht ungewöhnlich. Ein Pfarramt ist kein Gefängnis.“ Offensichtlich hatte sie nicht verstanden, dass hinter seiner Aussage noch mehr stecken musste, und wurde prompt von ihm überrumpelt.
„Das nicht. Aber er hatte eine Stunde später einen wichtigen Termin beim Bischof und ging trotzdem.“
„Vielleicht wollte er wirklich nur kurz irgendwohin, und der Mörder lauerte ihm auf.“
„Glaube ich nicht. Unser Mörder hat seine Taten bis ins Detail geplant. Also wird er wohl kaum das Risiko eingegangen sein, jemanden mitten in der Stadt abzufangen, wo ihn Hunderte Menschen dabei beobachten.“
„Da könntest du Recht haben“, musste sie zugeben.
„Außerdem hat sich der Pfarrer eine Fahrkarte nach Brandenburg gekauft. Wann kaufst du dir gewöhnlich eine Fahrkarte?“
Sie guckte verdutzt. „Wenn ich mit der Bahn fahren will, natürlich.“
„Genau. Also hatte er einen festen Plan, nach Brandenburg zu fahren. Das könnte heißen?“
Sonja zögerte verunsichert. „Na, dass er hierher wollte“, sagte sie dann nach kurzer Pause.
„Ja, logisch. Aber warum?“
„Vielleicht war er verabredet?“, fragte Sonja mehr ratend.
„Kluges Mädchen. Mir
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