Havelwasser (German Edition)
finden Sie hier die Erklärung für die Striemen an seinen Handgelenken, die von einer Fesselung herrühren könnten … Sie sollten bei Ihnen im Hause auch mal über die altbewährten Vernehmungsmethoden meiner Vorfahren und Ihrer Vorgänger nachdenken. Die trugen nicht immer Samthandschuhe, Commissario.“
Draußen auf der Straße versuchte Manzetti, die Erinnerung an Bremer und die Entgleisungen dieses widerlich betrunkenen Mannes von sich abzuschütteln, und verfiel wieder ins Grübeln. Was könnte diese Folter bedeuten? Warum war der Mörder mit solcher Brutalität vorgegangen? Hatte er von seinem Opfer eine Aussage erpressen wollen? Aber was war einem Geistlichen abzupressen? Oder hatte er sein Opfer einfach quälen, ihm Schmerzen zufügen wollen, vielleicht aus Rache? Er überlegte weiter. Wenn der Pfarrer gefoltert worden war, so könnte es zusätzlich bedeuten, dass sich der ganze Akt über Stunden hingezogen hatte, und das wiederum setzte voraus, dass der Mord an einem sicheren Platz stattgefunden hatte. Einen, an dem der Mörder sein Opfer gefangen halten konnte, an dem er vollkommen ungestört war.
Das Motiv der Rache verwarf Manzetti gleich wieder. Sein Gefühl sagte ihm, dass es nicht um Schmerzen gegangen war, sondern um Informationen. Dabei stützte er sich auf den respektvollen Übergang ins Reich der Toten, den der Mörder seinem Opfer nach griechischem Vorbild gewährt hatte. Jetzt war Eile geboten, denn auch Manzetti musste schnell an diese Informationen kommen, ansonsten würde der Vorsprung seines Gegenspielers zu groß.
Von der Jahrtausendbrücke guckte er auf das Heineufer. Dort holten seine Kollegen nun endlich das nach, was man am Vormittag versäumt hatte. Zwei Gestalten standen im Mittelpunkt des Geschehens, was sie sichtlich genossen. Sie wurden permanent befragt, zeigten mit Händen und dem eigenen Körper, wie die Leiche gelegen hatte. Sie schienen ganz und gar bei der Sache, als ob die Dusche und die frischen Hosen ihnen eine ganz neue Bedeutung verliehen hätten.
6
Manzetti hatte sehr schlecht geschlafen. Auch Kerstins wohlig-weiche Haut hatte ihn nicht beruhigen können. Immer wieder war der blutleere Leichnam in seinem Traum aufgetaucht, immer wieder hatte der feixende und sabbernde Bremer den Toten wie einen Speer nach ihm geworfen. Schließlich war er klatschnass geschwitzt aufgewacht und hatte sich unter die Dusche gestellt.
Es war nicht das erste Mal, dass ihn die Toten vom Tatort bis in den Schlaf verfolgten. Aber die letzte Nacht hatte er so schlimm wie noch nie empfunden. Genau deshalb hasste er die Tatortarbeit, jene Stunden, die den meisten Menschen verborgen blieben, obwohl es immer den einen oder anderen Sensationslustigen gab, der selbst polizeiliche Absperrungen durchbrach, um einen sicheren Blick auf das viele Blut oder auf abgetrennte Gliedmaßen zu erhaschen.
Während er sich noch rasierte, reichte ihm seine Frau das Telefon durch den Türspalt. Schon nach den ersten Worten aus dem Hörer sah er im Spiegel, wie seine Gesichtshaut jegliche Farbe verlor, und er übergab sich würgend in das Toilettenbecken.
Nur eine halbe Stunde später stand er an einem wilden Strand des Beetzsees, der lediglich von Insidern genutzt wurde.
„Guten Morgen Bremer.“ Manzetti sah auf den vor ihm hockenden Rechtsmediziner herab und spürte immer noch Groll wegen seines Auftritts im „Fonte“.
„Morgen, Manzetti. Pfuschen Sie mir nicht wieder ins Handwerk und stellen Sie vor allen Dingen keine übereilten Fragen!“, knurrte Bremer, dessen schlechte Laune vermutlich von furchtbaren Kopfschmerzen verursacht war. Er sah mit zusammengekniffenen Augen zu Manzetti hoch, die noch tief stehende Sonne blendete ihn.
Manzetti merkte, wie sich eine tiefe Abneigung gegen diesen Menschen in ihm breitmachte, und solche Gefühle hatte er nicht allzu oft. Es hatte nichts mit dem zu tun, was Bremer sagte, oder wie er es sagte. Er mochte ganz einfach diesen Typen nicht. Auch wenn Bremer ein hochintelligenter Mann war, Manzetti spürte, dass der Mediziner wohl unter dem einen oder anderen Problem litt, das er mit Mitteln zu unterdrücken suchte, die in aller Regel dazu überhaupt nicht taugten. Ein Blick von Manzetti in die geöffnete Tasche, in der sich durchaus nicht nur medizinische Utensilien befanden, bestätigte seine Vermutung. Trotzdem schwieg er dazu.
„Kehren wir zum Ernst des Alltags zurück und üben uns in Freundlichkeit, Dottore“, empfahl Manzetti
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