Havelwasser (German Edition)
scheint auch, irgendjemand hat ihn kurzfristig nach Brandenburg bestellt, und von diesem Jemand sollte offensichtlich niemand etwas wissen.“
„Wie kommst du jetzt darauf?“
„Na, sonst hätte er doch Bescheid gesagt. Schließlich war er mit seinem Bischof verabredet.“
„Hm.“
„Wann würdest du einen Termin mit dem Polizeipräsidenten platzen lassen?“
„Ich weiß nicht? Wahrscheinlich gar nicht. Ich bin doch nicht verrückt.“
„Denk nach!“, forderte Manzetti mit hastiger Handbewegung.
„Vielleicht, wenn einem engen Verwandten etwas passiert ist.“
„Dann würdest du dich aber entschuldigen, oder?“
Sonja nickte. „Ja. Würde ich wohl machen.“
„Wenn du aber in Panik gerätst und an die Konsequenzen gar nicht mehr denkst, die das Nichteinhalten des Termins haben könnte? Was ist, wenn dich jemand zu erpressen versucht? Sagen wir wegen einer Sache, die deiner Karriere schaden könnte.“
„Dann würde ich vielleicht alles andere vergessen.“
„Genau“, sagte Manzetti und entfernte sich durch den Sand.
7
Da Manzetti zu Fuß in die Direktion gegangen war, um in Ruhe nachzudenken, kam er nach allen anderen an. Sonja wartete schon auf ihn.
„Sie wussten nichts weiter“, sagte sie, als er vor ihr auftauchte.
„Wer wusste nichts weiter?“
„Na, die beiden Obdachlosen. Ich sollte sie doch gestern noch vernehmen, oder etwa nicht?“, fragte sie erstaunt.
„Und der Dritte im Bunde. Der, der ins Klinikum gebracht wurde?“
„Auch nichts“, antwortete Sonja und schüttelte den Kopf, wobei ihre halblangen blonden Haare den Bewegungen mit einigem Nachlauf folgten. Sie wollte gerade weiterreden, als Manzetti sie unterbrach.
„Hat er wenigstens die Variante seiner Kumpane bestätigt?“
„Das ging ja nicht mehr. Er ist in der Nacht gestorben. Noch bevor wir mit ihm reden konnten.“
„Woran?“ Es enttäuschte ihn immer wieder, dass gerade diesen Menschen nicht geholfen wurde. Kippte einer von ihnen in der Fußgängerzone um, dann wurde höchstens die Polizei gerufen, dass die sich gefälligst um ihn kümmerten. Fiel allerdings ein Mann in einem Nadelstreifenanzug auf die Nase, dann sprangen die Passanten sofort zu Hilfe. Das Gesetz der Nächstenliebe galt eben nicht für jeden.
„Eine Überdosis. Er liegt bei Bremer in der Kühlzelle.“
„Eccellente. Una commedia eccellente”, nuschelte er vor sich hin.
„Was heißt das nun wieder?” Sonja reagierte stets trotzig, wenn Manzetti italienische Wortfetzen bemühte. „Andrea, was heißt das?” Sie zog ihn am Sakkoärmel wie ein kleines Mädchen und holte ihn so aus seiner Versunkenheit.
„Wie bitte? ... Entschuldige.”
„Du hast eben Italienisch gesprochen, und ich will wissen, was das übersetzt bedeutet”, wiederholte sie mit missbilligendem Unterton.
„Eine prima Komödie, heißt das.“
„Und von der habe ich langsam genug“, sagte sie und angelte eine Zigarette aus der Schachtel, die sie schon minutenlang in der Hand hielt.
Während sie rauchte, gab sie ihm noch andere Informationen weiter. Unter anderem, dass die Polizeitaucher seit den frühen Morgenstunden nahezu jeden Meter der Havel abgetastet, aber außer rostigen Fahrrädern und einer noch eingeschweißten Sechserpackung russischen Wodka keine relevanten Dinge zutage gefördert hatten. Manzetti hatte aber auch nicht wirklich geglaubt, dass sie irgendetwas finden würden, was ihnen weiterhelfen könnte. Trotzdem wollte er die Entscheidung zum Einsatz der Taucher nicht gänzlich in Zweifel stellen.
„Erzähl mir etwas über den Pfarrer“, forderte er Sonja auf.
„Er hieß Fred Weinrich, war achtunddreißig Jahre alt und wohnte in Potsdam.“
„Das wissen wir doch schon!“ Er wedelte die graue Tabakwolke aus seinem Gesicht. „Welche Konfession?“
„Katholisch. Also ohne Frau und Kinder, wenn du das meinst.“
Er musste schmunzeln. „Sollte man annehmen, wenn er sich ans Zölibat hielt“, schob er amüsiert durch den Qualm in ihre Richtung.
Daraufhin schien sie zu erwachen und lächelte sogar ein bisschen, als sie eine Stelle aus einem Film zitierte, dessen Titel weder ihr noch Manzetti einfiel: „Sie hielten sich an das strenge Zölibat wie ihre Väter und die Väter ihrer Väter.“
Manzetti behielt sein Lächeln bei, ging aber nicht weiter darauf ein.
„Warum bringt jemand einen Geistlichen um?“, fragte sie dann etwas nachdenklicher. „Hast du eine Idee?“
„Nein, habe ich nicht. Aber dazu weiß ich auch noch zu
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