Havelwasser (German Edition)
ein wenig unter Druck setzt.“ So fest wie vorhin sein Griff traf nun sein Blick den Arzt. Für den war das aber nicht weniger unangenehm. „Einen Rechtsmediziner, der bei einer derart frischen Leiche den ungefähren Todeszeitpunkt nicht bestimmt, den kann ich nicht gebrauchen. Aber merken Sie sich ...“, er drohte Bremer jetzt sogar mit erhobenem Zeigefinger, „… bei mir bekommt jeder nur eine zweite Chance, und Ihre hat vor einer Minute begonnen. Ich mag es absolut nicht, wenn man mich veralbert. Capisce?“
„Ja.“ Bremer stand vor Manzetti wie ein Zinnsoldat. Selbst die herunterhängenden Hände schienen streng an der Hosennaht ausgerichtet zu sein.
„Sie dürfen weitermachen und sollten von nun an eng mit mir zusammenarbeiten. Wir haben nämlich keine Zeit für derlei Spielchen.“
Bremer nickte, obwohl er nicht mehr so genau wusste, was er von der Situation halten sollte. Manzetti hatte ihn zwar in die Zange genommen, aber er wollte ihm auch helfen, und das versuchte schon lange niemand mehr. Aber warum tat der das? Womit würde Bremer dafür zahlen müssen? Zunächst interessierte ihn erst einmal eines ganz besonders: „Kann meine kleine dunkle Seite unter uns bleiben?“
„Kann sie wohl kaum noch. Oder glauben Sie, dass Ihre Kapriolen im „Fonte“ niemand bemerkt? Ich werde Ihnen helfen, aber nicht Ihre Sauferei unterstützen. Außerdem mache ich das nicht ohne Gegenleistung.“
Bremer sah wieder zu seiner Tasche. Er hatte wohl doch die Rolle von Dr. Faustus bekommen. Dieser Italiener wollte seine Seele. „Sie sind anders, als ich das bisher vermutet habe, oder? Was ist die Gegenleistung?“, fragte er.
„Legen Sie sich trocken. Wenigstens während der Arbeit. Wenn Sie es nicht anders aushalten, dann knallen Sie sich abends richtig die Birne zu, aber am nächsten Morgen stehen Sie wie eine Eins. Was Sie dann als Gegenleistung für mich machen können, werde ich Ihnen zu gegebener Zeit offenbaren.“
„Ich habe wohl keine andere Wahl?“, fragte Bremer und wirkte schon viel gelassener.
Manzetti zuckte mit den Schultern und blickte auf den toten Körper: „Haben Sie bei dem Toten Papiere gefunden, oder fangen wir auch hier wieder bei null an?“
„Er hieß Martin Becker und war Lehrer am Hermann-Hesse-Gymnasium. Ich habe mal einen Vortrag über die Folgen des Rauchens vor seinen Schülern gehalten.“
Manzetti zog sich einen Einweghandschuh an und beugte sich über die Leiche. Mit Daumen und Zeigefinger versuchte er, die klaffende Wunde am Hals des toten Mannes zu schließen. Er ließ aber schnell wieder davon ab, denn sein Bauch rumorte umgehend. „Genau wie bei dem anderen.“
„Damit haben Sie vollkommen Recht, Manzetti. Nahezu identisch. Dieselbe Richtung des Schnittes, dieselbe Tiefe und vermutlich dasselbe Messer.“
„Ich hab es gewusst. Der ist noch nicht fertig.“
„Sieht ganz so aus“, pflichtete Bremer bei. Er war jetzt richtig bei der Sache.
„Ihren Sektionsbericht brauche ich spätestens heute Mittag. Schaffen Sie das?“
„Habe ich eine Wahl?“
„Sie leben in Ihrer zweiten Chance. Also wieder Stunde null. Wählen Sie, Bremer!“
„Gut. Gegen Mittag ist in Ordnung. Ich komme dann in die Direktion.“
„Nicht nötig. Ich komme zu Ihnen, wenn ich darf?“ Manzettis Blick war wieder bohrend und machte die Frage zum Befehl.
„Bitte. Wir sehen uns also dann in meinen heiligen Hallen. Erwarten Sie aber nicht zu viel.“ Bremer hatte sich schon einige Meter entfernt, als er sich plötzlich umdrehte und zurückkam. „Ach, noch etwas.“
„Ja?“
„Derartig tiefe Schnitte lassen meines Erachtens auf eine wirklich große Wut schließen, mit der hier gemordet wird. Ich könnte mir also vorstellen, dass hier jemand einen gewaltigen Rachefeldzug führt.“
Manzetti bedankte sich bei Bremer und schlenderte einige Meter vom Geschehen weg. Claasen konnte jetzt erzählen, was er wollte, konnte sich in seiner seelischen Trutzburg zum Schutze des Städtchens verbarrikadieren, aber den Zusammenhang der beiden Morde würde er nicht leugnen können.
Im gleichen Maß, wie sich Manzetti freute, dass seine erste Eingebung stimmte und hier wahrscheinlich ein Serienmörder unterwegs war, ärgerte ihn, dass er bei der Suche nach einem Motiv immer noch ganz am Anfang stand. Und was hatten die Münzen zu bedeuten? Der Mörder besaß davon sicherlich einen kleinen Vorrat, ansonsten lag die Chance vielleicht bei eins zu einer Million, dass jemand mit genau den gleichen
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