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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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doch.“
    „Ja“, antwortete er. „Ich bin von der Polizei. Hauptkommissar Manzetti.“ Er zog aus seiner Brieftasche den Dienstausweis und hielt ihn ihr unter die Nase.
    „Andrea Manzetti“, las sie laut vor. „Ein Ausländer also. Ich sag’s ja, selbst mit unserer Polizei ist nicht mehr so viel los.“
    Manzetti griff zu dem Mittel, das zumindest bei älteren Menschen diese leidliche Diskussion abwürgte. „Mein Vater war ein deutscher Diplomat.“
    „Ein Diplomat also“, wiederholte die Alte mit Bewunderung. „Und was wollen Sie nun wissen?“
    „Die Familie Becker …“
    „Hören Sie bloß auf“, fiel sie ihm ins Wort. „Becker, wenn ich den Namen schon höre. An dem Mann können Sie sehen, wie weit es mit diesem Deutschland schon gekommen ist. Ein Jammer ist das.“ Vor lauter Aufregung verschluckte sie sich, und als ihr Kehlkopf wieder zur Ruhe gekommen war, sprach sie hastig weiter. „Gut, dass Karl Ratzmann das nicht mehr erleben muss, denn dafür ist er nicht in den Krieg gezogen. Ich kann Ihnen was erzählen über Becker. Das müsste man den Behörden melden, müsste man das.“ Dann knallte sie die linke Hand auf den Küchentisch und holte tief Luft.
    „Der Becker, Herr Mandretto …“
    „Manzetti“, verbesserte er.
    „Also der Becker, der will ja Lehrer sein, will der. Aber was für einer, kann ich Ihnen sagen, Herr Mandretti.“ Sie guckte Manzetti fragend an, und als der nun nicht reagierte, fuhr sie fort. „Also, da kann ja aus unseren Kindern nichts werden. Das hätte es bei Karl Ratzmann auch nicht gegeben. Aber heute? Da ist ja alles möglich.“
    „Was ist denn nun mit Martin Becker?“ Er musste das Gespräch jetzt mal abkürzen.
    „Also, Herr Mandretti. Das ist so einer, der nach Afrika ist, um da die Wilden zu unterrichten. Sechs Jahre war der da, bei den schwarzen Deibeln. Als ob wir hier nicht genug Kinder hätten, die einen Lehrer bräuchten. Und dann hat der sich auch noch eine von da mitgebracht und hier geheiratet. Nun ist die auch Deutsche, Herr Mandretti.“
    Er hörte weiter zu, auch wenn sein Blut immer schneller floss. „Dann hat er sie doch geliebt, und es ist außerordentlich schön, wenn zwei Menschen heiraten, die sich lieb haben.“ Er formulierte diese Sätze mit strenger Miene, was dazu führte, dass Frau Ratzmann sich etwas zurücknahm.
    „Die lieben sich nicht. Das können Sie mir glauben, Herr Mandretti. Dafür habe ich ein Auge.“
    „Und woran erkennt man das?“, fragte er schnell, aber eigentlich hatte er nun schon das zweite Mal an diesem Tag nur noch das dringende Bedürfnis, an die frische Luft zu müssen.
    „An ihrem Blick habe ich das erkannt. An den Augen und an der Art, wie sie mit ihm spricht.“ Sie nickte zur Bestätigung der eigenen Worte. „Die Frau ist eiskalt, ist die. Und großkotzig dazu. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, Herr Mandretti, könnte ich.“
    „Dann tun Sie das doch“, ermunterte er, obwohl er eigentlich gar nichts mehr hören wollte.
    „Die spinnt doch. Die hat sogar unseren Wellensittich freigelassen. Ich kann Ihnen sagen …“
    „Das geschah doch sicherlich aus Versehen, oder?“
    „Nein!“, krächzte sie mit Inbrunst. „Mein Bruder musste vor einem halben Jahr ins Krankenhaus, und da haben wir die Beckers gefragt, ob sie den Schlüssel an sich nehmen und mal nach dem Rechten schauen könnten. So konnte ich die Zeit nutzen und zu meiner Tochter nach Hamburg fahren.“ Manzetti stellte sich vor, welche Freude bei der Tochter aufgekommen sein musste, als diese Mutter vor der Tür gestanden hatte.
    „Als ich wiederkam, war der Vogel weg. Abgehauen ist der kleine Hansi und bis heute nicht wieder aufgetaucht. Im Winter, Herr Mandretti.“
    „Das hat sie doch bestimmt nicht mit Absicht getan.“ Manzetti verteidigte Frau Becker, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass jemand einen fremden Wellensittich mutwillig entfliegen ließ.
    „Genau das hat sie aber. Sie hat es ja selbst zugegeben, hat den Hansi gleich am ersten Tag losfliegen lassen. Und dann hat sie noch gesagt, sie würde mich einsperren, falls ich wieder einen neuen Wellensittich kaufe. Sie wollte mich sogar vergiften.“
    „Haben Sie danach noch mal mit Frau Becker geredet?“
    „Ich?“, schrie sie empört heraus. „Ich soll mich mit so einer Wilden unterhalten. Niemals.“
    „Frau Ratzmann, ich muss jetzt leider gehen. Vielen Dank für das Wasser“, sagte er im Aufstehen und trat auf den Flur.
    „Schöne braune Tapete haben Sie

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