Havelwasser (German Edition)
Todesnachrichten nicht per Telefon. Aber darüber wollte er sich hier nicht auslassen. „Und da gehen Sie als Erstes in die Bank?“
„Wer soll das sonst tun?“ Wieder dieser Blick. Er beschloss, vorerst keine weiteren Fragen zu stellen. Außerdem musste er am Nachmittag noch diverse Sachen erledigen, und Claasen würde ihn sicherlich schon vermissen.
Verena Becker kam seinem Versuch, die Runde aufzulösen, zuvor und drückte Kerstin und ihm die Hand. „Vielen Dank für das leckere Essen.“ Dann reichte sie ihm noch eine Visitenkarte und ließ sich von Kerstin bis auf den Hof begleiten.
Erst nach einer knappen Viertelstunde war seine Frau wieder oben in der Wohnung. „Glaubst du, dass sie etwas mit seinem Tod zu tun hat?“, fragte Kerstin unvermittelt; und er spürte sofort, dass ihr diese Frage schon lange unter den Nägeln brannte.
„Nein. Eigentlich nicht, ich meine noch gar nichts. Aber wie kommst du denn darauf, Schatz?“
„Ich weiß es nicht, und ich will auch gar nicht daran denken. Aber sie war aus einem ganz bestimmten Grund in der Bank.“
„Und der wäre?“
„Geld.“
„Warum geht man sonst in eine Bank?“
„Ihr Mann hatte Geld, sehr viel sogar.“
Er nahm sie in den Arm, strich über ihr Gesicht und fragte: „Wie viel? Und wieso ihr Mann und nicht sie beide zusammen?“
„Das unterliegt dem Bankgeheimnis.“
„Schatz“, empörte er sich spielerisch. „Ich bin Andrea Manzetti, nicht Verena Becker.“
Kerstin guckte ihn kurz an und nickte. „Natürlich, entschuldige. Ich konnte ihr nichts sagen ohne Erbschein, zumal sie schon viele Jahre getrennte Konten hatten. Aber du bekommst es ja sowieso heraus.“
„Wie viel hatte er denn nun?“
Kerstin lehnte ihren Kopf an seine Brust, als sie sagte: „Fast eine Million Euro.“
10
Manzetti küsste seine Frau zum Abschied und versprach, nicht zu spät nach Hause zu kommen. Keiner der beiden maß diesem Versprechen jedoch größere Bedeutung bei.
An der Straßenbahnhaltestelle stand er ganz alleine, und ein Blick auf seine Armbanduhr verriet, dass er die Bahn um eine Minute verpasst hatte. Da die nächste erst in zwanzig Minuten kommen würde, machte er sich zu Fuß auf den Weg zur Innenstadt.
Er lief vorbei an einem alten Fabrikgebäude, leer stehend wie viele andere auch und von unzähligen Graffiti beschmiert. Beides, die Ruinen und die Graffiti, prägten einen Teil seiner Heimatstadt, denn es war nicht mehr viel übrig geblieben von dem ehemals bedeutenden Standort der Stahlindustrie. Aber es gab auch eine andere Seite, und die liebte er sehr. Unzählige Boote auf den Seen sowie den Flussarmen mitten in der Stadt waren ein herrlicher Anblick. Berliner, Potsdamer, Kapitäne aus Sachsen und anderen Bundesländern sowie zunehmend auch aus Holland bevölkerten die Brandenburger Gewässer und waren schier begeistert, wenn sie auf die Stadt zufuhren, auf das Eingangstor zum größten zusammenhängenden Binnenwassersportrevier in Europa. Auch Manzetti wünschte sich mehr Zeit für sein Segelboot.
In der Hauptstraße blieb er einen Augenblick stehen, um sich ein Eis zu kaufen. „Echtes Gelato“, stand auf einem Schild über dem Mann mit der weißen Mütze, der eher aussah wie Obelix, als dass er einem Italiener ähnelte. Wo auf der Welt begegnete man noch Schildern wie diesem? Fast so schön wie „The realy Thüringer Bratwurst“ neben dem Weißen Haus.
Er bestellte zwei Kugeln Pistazieneis, leckte daran und achtete wenigstens den Versuch des Konditors. Manzetti bezahlte und betrat wieder den Gehweg, als er einen leichten Schlag gegen seinen Unterarm verspürte, der nicht einmal schmerzte. Aber dass die Eistüte nun vor seinen Füßen lag, brachte ihn in Rage.
Neben ihm lachten drei junge Schlackse, vielleicht siebzehn Jahre alt, so groß gewachsen wie er selbst, aber dünner und jeder mit einer halb leeren Bierflasche in der Hand. Schon jetzt, es war erst vierzehn Uhr, trank ein Teil der Jugendlichen Bier. Es war sogar schick, wenn man, wie andere ihr Eis, die Bierflasche vor sich hertrug.
„Haste Probleme?“, fragte einer der drei Manzetti und erntete dafür von den anderen ein begeistertes Gelächter. Die drei hatten Kraft ohne Ende, und die war wohl auch dafür verantwortlich, dass ihnen die übrigen Passanten den Weg frei machten. Niemand kam Manzetti zu Hilfe.
Noch in ihr Gelächter hinein hallte ein klatschendes Geräusch durch die Hauptstraße und erfuhr durch die hohen Gebäude sogar ein kleines Echo. Noch
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