Havelwasser (German Edition)
Führer willig an der dunklen Kirche vorbei und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Er konnte noch immer nicht glauben, in welch grotesker Situation er sich befand, denn die Befürchtungen Hartungs waren einfach absurd. Trotzdem ersparte er sich anstandshalber den sarkastischen Hinweis, dass der da oben ja sowieso immer dabei sei.
„Ich vertrete häufig den Pfarrer dieser Gemeinde und habe daher einen Schlüssel. Ich schließ sofort auf. Warten Sie bitte.“ Hartung blieb an einer kleinen Tür des Kirchengebäudes stehen und klapperte kaum hörbar mit dem Schlüsselbund. Schließlich öffnete sich auch diese Pforte, und der Pfarrer schritt voran, verharrte dann aber auf der Schwelle.
„Tragen Sie eine Waffe, Herr Manzetti?“
„Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß.
„Das ist gut so. Ansonsten müsste ich Sie bitten …“
„Ich weiß, Herr Pfarrer“, unterbrach Manzetti und zog hinter sich die Tür zu.
In der Kirche strömte angenehm kühle Luft auf ihn zu, auch wenn sie etwas muffig roch. Die langen Jahrhunderte des ehrwürdigen Gebäudes schienen einzeln in die Nase des Polizisten zu kriechen.
„Kommen Sie weiter, Herr Manzetti“, forderte Hartung und ging jetzt nicht mehr ganz so vorsichtig. Er folgte den hallenden Schritten des Geistlichen, bis vor ihm ein Streichholz aufblitzte. Im Schein eines kargen Kerzenlichts sah er dann das erste Mal an diesem Abend in das Gesicht von Hartung.
„Warum diese Umstände, Herr Pfarrer?“, fragte er noch einmal.
„Reine Vorsicht. Man kann nie wissen.“
„Vor wem haben Sie Angst?“
„Vor niemandem“, sagte Hartung, aber sein ganzes vorheriges Gehabe hatte die Glaubwürdigkeit dieser Aussage in Frage gestellt.
Manzetti beabsichtigte, nicht weiter darauf einzugehen, und fragte deshalb in eine andere, hoffentlich ergiebigere Richtung. „Was wollen Sie von mir, Herr Pfarrer?“
„Wir haben Ihnen heute Nachmittag nicht ganz die Wahrheit gesagt“, beichtete Hartung und legte eine Pause ein. „Ich hoffe, Sie können darüber hinwegsehen.“
„Ich schon“, sagte Manzetti. „Was sagt aber Ihr Chef dazu?“ Er konnte sich jetzt diese Bemerkung, die er mit einem neuerlichen Blick zum Dach der Kirche begleitete, nicht mehr verkneifen.
„Der weiß Bescheid und er ist barmherzig, glauben Sie mir.“
Es hätte Manzetti interessiert, ob ihn wirklich keine Gewissensbisse seinem Herrn gegenüber quälten, und hätte deshalb gerne seine Mimik und seine Augen gesehen. Der Schein der Kerze reichte hierfür aber nicht aus. „Und was ist nun die Wahrheit?“
„Hier“, sagte Hartung und seufzte. Seine Hand schob sich in die Brusttasche seiner Jacke und entnahm ihr einen gefalteten Zettel, den er die ganze Zeit über wie seinen Augapfel gehütet haben musste.
Manzetti faltete ihn auseinander und strich ihn an der kalten Wand glatt. Dann hielt er ihn direkt neben die Kerze. Sofort erkannte er Buchstaben unterschiedlicher Schriftgröße, die offensichtlich auf dem Original aufgeklebt waren. Er dagegen hielt lediglich eine Kopie in der Hand.
Hartung kam seiner Frage zuvor. „Das Original ist noch bei Pater Johannes.“
„Weiß er von unserem Treffen?“
„Nein, und das darf auch niemals passieren.“
„Warum nicht?“
„Der heilige Stuhl.“
„Deshalb also dieses ganze Spektakel, oder?“ Manzetti begann, langsam aber sicher zu begreifen, dass er nicht nur Claasen gegenüber vorsichtig agieren musste, sondern dass er jetzt auch noch die besonderen Empfindlichkeiten des Vatikans berücksichtigen musste. Da Hartung nicht antwortete, las er sich die Botschaft des kopierten Zettels durch.
WIE WEINRICH WIRD ES ALLEN KINDERFICKERN GEHEN!
Haargenau der gleiche Wortlaut wie bei Becker. Also doch. Alles andere hätte ihn auch gewundert.
„Wann kam die Nachricht?“, wollte Manzetti wissen.
„Sie lag vorgestern im Briefkasten.“
„Wer hat sie gelesen?“
„Nur ich.“
„Und dann?“
„Ich habe natürlich sofort den Bischof informiert, der unbedingtes Schweigen angeordnet hat.“
„Und Pater Johannes entsandte“, ergänzte Manzetti.
„So ähnlich. Das verstehen Sie doch, oder?“
„Sicher. Aber was soll er hier?“ Die Frage war eigentlich überflüssig wie Sauna im Sommer, aber Manzetti wollte Hartungs Variante hören.
„Pater Johannes ist dichter dran am ehrwürdigen Vater und kann seine Interessen sicherlich direkter vertreten, Herr Manzetti.“ Der Tonfall des Pfarrers wechselte von der anfänglichen Verlegenheit wieder zur
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