Havelwasser (German Edition)
über die Münchner Bayern und die dann unausweichlich folgenden Spekulationen über Trainerentlassungen die Medien beschäftigen würde, war der Direktor nach Potsdam beordert worden.
Claasen war es egal, nicht nur weil er von Fußball nichts verstand, sondern weil er so die Chance hatte, dem Herrn Minister in die Augen zu sehen, wenn er ihm versprach, dass er alles Menschenmögliche und selbstverständlich auch alles Menschenunmögliche tun würde, um eine schnelle Aufklärung der beiden Mordfälle herbeizuführen.
Ansonsten waren die Frauen in der Abteilung damit beschäftigt, der nun wieder anwesenden Sonja Brinkmann beizupflichten, dass Oliver nun die letzte, ja sogar die allerletzte Chance bekomme und dass der bei seinem nächsten Auszug bleiben solle, wo der Pfeffer wächst. Niemand, der an dieser unheiligen Diskussion beteiligten Damen zog auch nur für den Bruchteil einer Sekunde in Betracht, dass sie Oliver damit unter Umständen einen riesigen Gefallen tun würden, denn der Pfeffer anbauende Orient war nicht die schlechteste Gegend, und über die Rolle der Frau lässt sich dort bekanntlich nicht streiten.
Manzetti ließ Sonja zu sich kommen und hörte ihr zwar zu, sicherlich auch, weil er ihren Arbeitselan schätzte, aber ansonsten ermüdete ihn ihr lärmendes Treiben mit und ohne Oliver. Er war sich so sicher, dass Sonjas Auftreten diesmal genauso lärmend wie nach jeder anderen Rückkehr Olivers war, wie er sich sicher war, dass der neue Streit der beiden Hassliebenden nicht lange auf sich warten ließ.
Aus Manzettis Sicht gab es also einfachere und trivialere Gründe für Freude als die von Sonja an diesem Freitagmorgen allen vorführte: zum Beispiel ein gutes Essen, ein leckerer Wein oder ein abrundender Grappa, und das auf seinem Segelboot. Er erteilte Sonja also ein paar Aufträge und wollte selbst bald ins Wochenende aufbrechen. Möglichst bevor Claasen aus Potsdam zurückkam.
Sonja notierte in ihr Büchlein, dass sie etwas über die Geldangelegenheiten von Diakon Weinrich herausbekommen sollte und Licht in die Geldgeschäfte von Becker zu bringen hatte. Er ließ ihr großzügig bis Montag Zeit.
Das war vor zwei Stunden. Jetzt war es gerade zwölf Uhr, und durch das Fenster seines Büros lockte ihn die Frühsommerluft nach draußen. Warum sollte er also nicht einfach gehen? Überstunden hatte er zur Genüge, und außer Claasen war niemand in der Lage, ihn daran zu hindern. Er nahm sein Sakko vom Haken, warf es leger über die Schulter und kramte seinen Schlüssel aus der Hosentasche. Als er noch einmal einen prüfenden Blick durch sein Büro warf, klingelte das Telefon.
Manzetti zögerte. Sollte er noch rangehen? Oder sollte er flüchten? Es könnte ihm das ganze Wochenende, zumindest aber den Freitag verderben. Aber schließlich siegte doch der Polizist in ihm, und er schmiss den Schlüssel auf den Schreibtisch.
Nach dem dritten Klingeln nahm er ab und hörte eine Männerstimme: „Manzetti?“
„Hallo, Bremer.“ Er erkannte den Mediziner an dessen rauer Stimme sofort.
„Kommen Sie schnell in mein In … Insti …, kommen Sie her, Mann“, stotterte Bremer, und Manzetti ahnte, dass er den Anruf besser ignoriert hätte. Die verwaschene Sprache, so nannten es die Kollegen der Verkehrspolizei, verriet ihm, was der Arzt intus haben musste.
„Was ist passiert, Bremer?“
„Etwas Furchtbares. Kommen Sie schnell“, bettelte Bremer, der langsam zum Jammern überging.
„Also gut“, versprach er. „Ich bin in fünf Minuten da.“
Einer alten Sentimentalität frönend, hatte er eigentlich in spätestens einer halben Stunde in der Badewanne liegen und so mit einem Glas Rotwein in der Hand, ein paar Takten Puccini und Kerstin an seiner Seite das Wochenende einläuten wollen. Daraus würde nun wohl nichts mehr werden.
Die Flure der Rechtsmedizin waren schon leer, und so erzeugten seine Schritte ein deutliches Echo. Er fand Bremer erheblich schwankend in seinem Büro vor, und der Geruch nach Hochprozentigem durchflutete bereits jeden Kubikzentimeter des kleinen Zimmers.
„Wollten Sie mir nur vorführen, wie jämmerlich jemand aussieht, der schon mittags sturzbetrunken ist?“
„Keineswegs, Commissario. Keineswegs“, entgegnete Bremer und gewann einigermaßen die Beherrschung über seinen Körper zurück. „Ich habe gesündigt“, lallte er, denn das Sprachzentrum war nicht damit zufrieden, dass sich Bremer an seinem Tisch festhielt. „Gesündigt, und ich bereue … ich bereue
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