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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Bemühen um eine möglichst gleichgültige Tonlage.
    „Herr Manzetti?“, fragte eine Männerstimme, die irgendwie müde, aber doch bittend klang.
    „Ja“, antwortete Manzetti, der nicht wusste, mit wem er eigentlich sprach.
    „Ich möchte Sie bitten … wenn es Ihnen nichts ausmacht, natürlich nur, dann möchte ich Sie bitten, dass wir uns vielleicht treffen könnten.“ Der Mann sprach nicht nur in bittendem Ton, sondern auch mit sehr großer Vorsicht.
    „Und mit wem sollte ich mich treffen?“ Manzetti wollte endlich erfahren, mit wem er gerade telefonierte.
    „Ich möchte meinen Namen nicht nennen, aber wir haben uns heute bereits einmal gesehen …“ Endlich sah Manzetti klar. Es handelte sich um Pfarrer Hartung. Da er hoffte, durch ihn an weitere Informationen zu gelangen, ging er auf die Geheimnistuerei ein.
    „Okay. Wann und wo wollen wir uns treffen?“, fragte er und sah auf seine Armbanduhr, die fast zwanzig Uhr dreißig anzeigte.
    Nach einer längeren Pause schlug Hartung Ort und Zeit vor. Er war kaum zu verstehen, denn mittlerweile flüsterte er auch noch. Manzetti wiederholte deshalb noch einmal laut und deutlich den Vorschlag des Pfarrers. „Also in zwei Stunden an der Hinterpforte der Kirche Heilige Dreifaltigkeit .“
    Manzetti legte auf und dachte noch eine Weile darüber nach, warum Hartung solche albernen Spielchen mit ihm trieb. Ob er vor irgendjemandem Angst hatte? Dann nahm er sich ein Buch und las. Es blieb ihm genügend Zeit, denn er würde keine zehn Minuten zum Treffpunkt laufen.
    Er erhob sich rechtzeitig, um sein Sakko anzuziehen, entschuldigte sich bei Kerstin, die ihm versicherte, dass sie auf ihn warten würde. Dann verließ er die Wohnung, ohne erwähnt zu haben, wohin er wollte, überquerte die Sankt Annenbrücke und bog auf der anderen Seite des Stadtkanals auf die Sankt Annenpromenade ein, genau gegenüber dem Haus, in dem seine Frau gerade vor dem Fernseher saß.
    An dem Anlieger waren einige Boote vertäut. Nur wenig Licht drang durch die vorgezogenen Vorhänge vor den kleinen Fenstern, und auf einem Achterdeck standen sogar noch zwei einsame leere Weingläser. Davon inspiriert, reifte in ihm der Entschluss, morgen mit seinen drei Frauen segeln zu gehen.
    Nach vierhundert Metern erreichte er die Holztür, hinter welcher der Campus der Kirchengemeinde lag. Seit Hartungs Anruf waren exakt zwei Stunden vergangen. Manzetti drehte sich hin und her, konnte aber keine Menschenseele entdecken. Nur ein paar Enten trieben in der Mitte des Kanals im schwachen Strom. Nach wenigen Sekunden verschwanden sie allerdings in der bereits über der Stadt liegenden Dämmerung. Warum hatte Hartung ihn hierher zum Hintereingang bestellt? Warum traf man sich nicht einfach auf der anderen Seite am Haupteingang in der hell erleuchteten Neustädtischen Heidestraße? Die mächtige und jahrhundertealte Mauer gab der Situation zusätzlich einen unangenehmen Beigeschmack, denn selbst für den groß gewachsenen Manzetti war es nicht möglich, darüber hinwegzuschauen. Nach seiner Schätzung war sie mindestens vier Meter hoch. Manzetti begann, leicht zu frösteln, was nicht an den noch immer sehr milden Temperaturen lag. Situationen, die er kaum überschauen konnte, machten ihn nicht nur misstrauisch.
    Das Klacken eines Schlosses ließ ihn dann ruckartig herumfahren, und aus der Macht der Gewohnheit ging er sogar ein wenig in die Hocke. Nachdem sich seine Muskeln wieder entspannt hatten, sah er sich noch einmal um, und als er noch immer niemanden entdecken konnte, drückte er die Klinke herunter. Hinter der Mauer umfing ihn völlige Dunkelheit. Seine Augen benötigten einige Zeit, um sich vom Laternenlicht der Promenade auf die Finsternis im Schatten der riesigen Kirche einzustellen. Hinter ihm wurde die Tür wieder geschlossen und der Verriegelungsmechanismus zwei Mal bewegt.
    „Danke, dass Sie gekommen sind, Herr Manzetti. Danke.“ Er drehte sich um und erkannte die Umrisse eines Mannes, der etwa seine Größe hatte. Die flüsternde Stimme gehörte zu Pfarrer Hartung.
    „Keine Ursache, Herr Pfarrer, aber was soll die Geheimnistuerei?“ Auch Manzetti flüsterte nun. Er wurde das Gefühl nicht los, sich in einem drittklassigen amerikanischen Agentenfilm zu befinden.
    „Es dient lediglich der Vorsicht, Herr Manzetti“, versuchte Hartung zu beruhigen. „Man weiß heutzutage nie, wer einen beobachtet oder wer zuhört. Kommen Sie“, sagte er und zog Manzetti am Arm weiter.
    Der folgte seinem

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