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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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zutiefst.“
    „Bremer!“ Manzetti war kurz davor, die Geduld zu verlieren. „Warum wollten Sie mich sprechen?“
    „Gucken Sie sich das an“, sagte der Arzt völlig ungerührt und zeigte großzügig kreisend auf seinen Schreibtisch. „Scheiße ist das, absolute Scheiße.“
    Manzetti suchte mit den Augen den Schreibtisch ab und fand sofort das, was Bremer gemeint haben musste. „Nicht auch noch Drogen, Bremer“, sagte er und wischte die Spur des weißen Kokains vom Tisch.
    Bremers Lachen erfüllte das kleine Büro. „Drogen? Ha, wenn es mal welche gewesen wären.“
    „Keine Drogen?“, fragte Manzetti ungläubig, denn die weiße Pulverschicht, die er jetzt um Bremers Nase entdeckte, war zu verräterisch.
    Bremer, der aufgehört hatte zu lachen, fluchte: „Nein, keine Drogen. Was haben Sie mir da für Zeug gebracht?“
    Jetzt dämmerte es Manzetti: Bremer musste sich die Substanz, die er in den Schuhen von Becker gefunden und die er zur Untersuchung ins Institut gebracht hatte, selbst durch die Nase gezogen haben. „Weiß ich nicht. Was meinen Sie?“
    „Kalk“, antwortete Bremer, noch immer wütend. „Schnöder Kalk ist das.“
    Jetzt musste Manzetti wirklich schmunzeln und versuchte, das auch gar nicht erst zu verbergen. „Ich dachte, es wäre Kokain. Sie wohl auch, oder?“
    „Manzetti, manchmal sind Sie ein ziemliches …, egal, ich mag Sie trotzdem, auch weil Sie an einen Säufer wie mich glauben.“ Dann schwankte er zu Manzetti und umarmte ihn. „Und jetzt passen Sie mal gut auf, Sie kleiner Italiener. Der Onkel Doktor wird Ihnen mal was erklären“, sagte Bremer und glitt in seinen Sessel.
    Mit einem Blatt Papier in der Hand begann er seinen Vortrag. „Gut, dass der Obdachlose noch nicht verscharrt ist, Manzetti. Dem ist es wie mir gegangen. Der wollte sich das schöne weiße Pulver auch reinziehen und wird wohl auch bloß geniest haben.“
    „Dann ist er gar nicht an einer Überdosis gestorben?“, unterbrach Manzetti.
    „Doch, doch. Aber, wenn Sie sich erinnern, die hat er sich gespritzt, nicht geschnupft. Das, was er eingeschnieft hat, ist bestimmt auch bloß Kalk gewesen, aber wie bei mir ein ganz besonderer.“ Bremer hob beschwörend einen Zeigefinger in die Höhe.
    „Hier“, sagte er und reichte Manzetti das Blatt Papier, das der sofort zu lesen begann. Nach einer kurzen Pause musste er sich setzen. „Ist doch nicht wahr, oder?“ Weiter konnte er dazu nichts sagen.
    „Und ob das wahr ist. 59 % phosphorsaurer Kalk und ein geringer Anteil kohlensaurer Kalk, was die veraltete Bezeichnung für Calziumcarbonat ist. Daraus besteht das Zeug, und deshalb ist es sehr viel wertvoller als Kokain. Will man gar nicht glauben, aber das ist so.“ Bremer lachte laut auf.
    Manzetti sah wieder auf das Blatt Papier und versuchte, seine Sinne beisammen zu halten.
    „Viele nennen es auch das weiße Gold“, ergänzte Bremer.
    „Das heißt also, dass die beiden keine Drogen in den Absätzen ihrer Schuhe hatten, sondern pulverisiertes Elfenbein“, fasste Manzetti zusammen.
    „Genau“, bestätigte Bremer. „Und zwar sehr gutes. Wenn meine Analyse stimmt, dann stammt es von afrikanischen Elefanten.“
    „Das kann man auch herausfinden?“
    „Klar. Es gibt Analysen, die sagen Ihnen, ob es von Elefanten, von Nilpferden, Narwalen oder von Walrossen stammt. Übrigens ist das der Narwale das teuerste.“
    „Interessant, Bremer. Kann ich den Zettel mitnehmen?“
    „Klar“, erlaubte Bremer wie selbstverständlich. „Aber Sie verpfeifen mich nicht?“
    „Ehrenwort“, versicherte Manzetti, und sein Unverständnis für die Sauferei war der Hochachtung für das Genie in Bremer gewichen. Im Hinausgehen sah er noch einmal zurück, sah, wie Bremers Schädel auf dem Tisch lag, und fragte sich, wie viele Zentimeter dieses Genie noch vom Wahnsinn trennten.
    Manzetti schlich sich durch einen Nebeneingang aus dem Klinikgebäude und befand sich unvermittelt in der gleißenden Sonne, die blitzartig durch sein dunkles Sakko stach und ihm fast schon schmerzhaft verdeutlichte, warum Sommerbekleidung zumeist beige oder weiß und gerne auch aus Leinen sein sollte.
    Er hängte sich das Sakko über die Schulter und versuchte, nicht zu stark mit den Armen zu pendeln, um die Schweißflecken unter seinen Achseln vor neugierigen Blicken zu verbergen. Eigentlich müsste er viel Luft heranlassen, aber das ließ seine Eitelkeit nicht zu. Manzetti schlenderte am Salzhofufer vorbei und wählte hinter der

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