Havelwasser (German Edition)
so fühlten sie sich von Zeit zu Zeit in ihrem Palast etwas einsam. Da es Manzetti aber kaum zwei Wochen ohne Kontakt zu seinem Patenonkel aushielt, profitierten beide Familien von den häufigen Besuchen.
„Hallo“, rief er schon aus einiger Entfernung und erntete fröhliches Winken.
„Hallo, Andrea“, sagte Herbert und reichte Manzetti die Hand. „Den wunderbaren Kuchen von Irene hast du schon verpasst. Alles aufgegessen“, offenbarte ihm der fünfundsechzigjährige Herbert Jahn und hob entschuldigend seine Hände. „Aber einen Kaffee kann ich dir noch anbieten.“
Die beiden Männer drückten sich herzlich, bevor Manzetti auch den Kaffee ablehnte und um ein Glas Wasser bat. Dann umarmte er Irene, etwas vorsichtiger, weil Paola auf ihrem Schoß eingenickt war und er keinen Grund sah, schlafende Tiger zu wecken.
Herbert reichte ihm ein volles Wasserglas, an dessen Wand sich die glitzernden Perlen prickelnd nach oben arbeiteten. Schon nach dem ersten Schluck merkte er, wie sich die Kohlensäure in seiner Speiseröhre wieder in Richtung Ausgang drängte. Er bevorzugte eindeutig stilles, italienisches Wasser. Als er das Glas absetzte, fragte er: „Wo ist denn Lara?“ Seine große Tochter war nicht zu sehen.
„Sie ist zum Reiten und wird zum Abendbrot zurückgebracht“, klärte ihn Herbert auf.
Manzetti wollte sich gerade setzen, als Irenes Blick messerscharf in seine Augen stach. Schuldbewusst, weil ahnend, worum es gehen würde, flüsterte er immer noch, um Paoloa nicht zu wecken: „Was ist? Warum schaust du mich so böse an?“
„Ich denke, das weißt du ganz genau“, schnaubte sie unfreundlich. „Wir reden nachher unter vier Augen darüber.“ Mehr sagte sie nicht, aber das war auch nicht nötig. Manzetti hatte zunächst seinen Ohren nicht trauen wollen, aber dann war ihm klargeworden, dass Lara ihrer geliebten Omirene, wie sie Irene Jahn nannte, längst von der gescheiterten Bitte berichtet hatte. Das hatte sie ganz bestimmt vorsätzlich getan und war vielleicht sogar von Kerstin initiiert oder zumindest unterstützt, denn jede der Manzetti-Frauen, selbst Paola gehörte schon dazu, wusste, dass er sich nur schwer gegen seine Patentante durchsetzen konnte. Jetzt hatte er es also mit vier Frauen zu tun.
Er machte aus Mangel an Alternativen gute Miene zum bösen Spiel und sah Irene mit leuchtenden Augen an. „Gerne können wir die Angelegenheiten meiner Tochter nachher besprechen, Irene“, sagte er freundlich, aber mit leicht ironischem Unterton.
„Das können wir“, entgegnete sie und entließ einen schweren Seufzer. „Vielleicht bringst du ja die gleichen Argumente vor wie ich, als du unbedingt in die Disco wolltest. Wie alt warst du da, Andrea?“
Vor Ärger über die erste und in dieser Sache sicherlich nicht letzte Niederlage lief sein Hals rot an, und er suchte Unterstützung bei Herbert, der amüsiert neben ihm saß. Aber der war nicht verrückt genug, um sich den Frauen zum Fraß vorzuwerfen, nur um seinen Patensohn aus einer brenzligen Lage zu holen, in die der sich auch noch selbst gebracht hatte.
„Herbert“, flehte Manzetti erschrocken, als er erkannte, dass der alte Richter ihm nicht zur Seite stehen wollte.
Der wiederholte seinen eigenen Namen wie den einer eklig behaarten Raupe. „Herbert?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, Andrea. Ich bin seit einem halben Jahr pensioniert und nicht mehr gewillt, Recht zu sprechen. Und bei dieser anwaltlichen Übermacht schon gar nicht.“ Er hatte seine Frau und Kerstin dabei fest im Blick, den er mit einem charmanten Lächeln begleitete.
„Angsthase“, protestierte Manzetti ohne Erfolg. Er hatte die Ausweglosigkeit seiner Situation längst begriffen und bemühte sich, die Angelegenheit zu vertagen. „Du sprichst also kein Recht mehr, Herr Jahn“, hetzte er. „Dann bist du auch nicht mehr an Beweislagen interessiert.“
„Welche meinst du?“
„Die Münzmorde vielleicht.“
Herbert strich sich über das Kinn. Ganz so, als störte ihn ein unangenehmer Gedanke, hielt er in allen Bewegungen inne und schwieg einen Augenblick. Dann funkelte er Manzetti neugierig an und machte mit dem Gesichtsausdruck eines Hausierers seinen Vorschlag: „Wir können ja so tun, als wäre ich Miss Marple.“
Manzetti wusste, dass er Herbert damit immer wieder ködern konnte, denn seit seiner Pensionierung war der alte Richter von unbändiger Neugier nach allen die Justiz tangierenden Dingen getrieben. Willig folgte er Manzetti, der
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