Havelwasser (German Edition)
etablieren. Aber diese Schlange hat ihm das Leben verdorben.“
„Sie sagte zu mir aber, dass er zurück nach Deutschland musste, weil sein Vertrag ausgelaufen war“, gab Manzetti zu bedenken.
„Schon. Aber er wollte aussteigen. Das sagte ich doch bereits.“
„Warum hat er sich nicht von ihr getrennt?“
„Weil er sie geliebt hat. Außerdem ist er gezwungen worden, das Land zu verlassen.“
„Gezwungen?“, fragte Herbert verblüfft und gleichzeitig einfühlsam.
„Ja. Von der Regierung, glaube ich. Und daran war sie schuld.“ Becker trank sein Glas leer. Er schluckte hastig.
„Etwa von der namibischen Regierung?“
„Ja, sicher. Sie hat auf Touristen geschossen. Auf ausländische Bürger, die nur ihren Urlaub dort verbringen wollten und auch noch Geld ins Land brachten“, zischte er und zeigte zum ersten Mal so etwas wie Misstrauen. „Das müssten Sie doch aber alles wissen. Sind Sie wirklich von der Polizei?“
Manzetti reichte seinen Dienstausweis über den Tisch, und Herbert Jahn stellte schnell die nächste Frage. „Hat sie jemanden verletzt?“
„Das wohl nicht“, meinte er sichtlich ruhiger. „Aber es waren Österreicher, die mit Genehmigung Kudus jagen wollten und dafür auch noch viel Geld bezahlt haben.“
Manzettis Bild von Verena Becker nahm immer deutlichere Konturen an. Sie war für ihn der Inbegriff einer militanten Tierschützerin, die sicherlich auch über menschliche Leichen ging, um Tiere zu schützen. Wer auf Menschen schießt und dabei in Kauf nimmt, dass er sie verletzt oder gar tötet, der hat die höchste Schwelle bereits überschritten. Der überschreitet immer wieder Grenzen.
„Ihre Schwiegertochter lebte schon in Namibia, bevor sie Ihren Sohn dort kennenlernte?“, fragte Manzetti nüchtern.
„Ja. Und Martin verliebte sich in sie. Anfangs war es auch gut so, und meine Frau war glücklich über diese Verbindung. Es war mal eine, die in sexueller Hinsicht wie er tickte, oder besser, die seine sexuellen Neigungen akzeptierte.“
Manzetti horchte auf. „Welche waren das denn?“
Becker machte eine absichtliche Pause. Er sah beide an und holte tief Luft. „Keine“, sagte er und war mit den überraschten Gesichtern außerordentlich zufrieden.
„Keine?“, wiederholte Manzetti.
„Martin war impotent, und das seit seiner Kindheit. Ein Unfall mit dem Fahrrad. Die Ärzte haben uns gleich gesagt, dass er sein Leben lang darunter leiden würde. Martin machte sich also weder was aus Frauen, noch aus Männern und schon gar nicht aus Kindern.“ Becker entließ einen tiefen Seufzer und rutschte in dem Sessel nach vorn. Mit der nächsten Bewegung zerknüllte er die Zeitung und warf sie in eine Ecke.
Herbert ergriff als Erster wieder die Initiative. Er hatte die Geste Beckers als eine Art Schlusswort akzeptiert und wollte den armen Mann nicht weiter behelligen. Er verabschiedete sich und übergab unten auf der Straße das Kommando wieder gänzlich an Manzetti.
„Nun hast du dein Motiv, Andrea.“
„Ich bin noch nicht ganz überzeugt. Sie muss mehr als eiskalt sein, wenn sie ihren Mann so abschlachtet, nur weil der aus Elfenbein Figuren schnitzt.“
„Vielleicht steckt eine ganz andere Dimension dahinter.“
„Das kann sein. Aber wie finden wir das raus?“
„Der zweite Tote“, sagte Herbert. „Dessen Umfeld weiß bestimmt auch mehr, als sie bislang zugegeben haben.“
„Schon möglich. Und du meinst“, spann Manzetti den Faden weiter, „dass ihre Liebe zu Tieren größer ist als die zu Menschen und sie als Anwältin der afrikanischen Fauna selbst vor Mord nicht zurückschreckt?“
„Vielleicht nicht als Anwältin der Tiere, aber als Gegnerin des Elfenbeinhandels“, sagte Herbert.
Manzetti erinnerte sich, dass er Ähnliches gedacht hatte, als er Kerstin von seiner Begegnung in der Wohnung von Verena Becker erzählt hatte. Diese Frau war wirklich besessen und zu allem fähig.
21
Manzetti hatte sich von Herbert gleich nach Hause fahren lassen. Er wollte nicht mehr mit zu den Jahns. Er wollte alleine sein und grübeln, all die neuen Erkenntnisse sortieren. Harte Fakten musste er von weichen Vermutungen trennen und für sich die weitere Vorgehensweise festlegen. Dabei trieb ihn eine zentrale Frage um: War es zu diesem Zeitpunkt schon gescheit, an Verena Becker heranzutreten und sie mit einem Tatvorwurf zu konfrontieren?
Er fand lange keine Antwort darauf und so war er dann auch äußerst unruhig eingeschlafen. Mindestens zwanzig Mal war er in der
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