Havelwasser (German Edition)
unterdessen völlig unbeeindruckt und schob Kerstin durch die Tür.
„Was will er?“
„Dass ich Hand an ihn lege, und sei es nur, um mir eine Scheibe abzuschneiden.“
Oben an der Tür zum Penthouse wartete Jochen schon und bemühte sich, Kerstin länger und intensiver zu küssen als ihren Mann. „Kommt rein“, forderte er mit der zu ihm gehörenden Gestik. „Die beiden Engelchen sind bereits im Arbeitszimmer.“ Während Jochen die Manzettis in den hallenartigen Wohnraum führte, fragte er mit einer Stimme, aus der echte Zuneigung klang: „Die Mädchen sehen gut aus. Ich hoffe, es geht ihnen auch so?“
Kerstin versicherte, dass es allen ausgezeichnet ginge, zumal ja Wochenende sei und man sich riesig auf den Einkaufsbummel freue, auch wenn Andrea nicht mitkommen könne.
„Was?“, fragte Jochen mit lang gezogener Enttäuschung.
„Außerdem ist Paola verliebt“, schob Kerstin schnell nach, um die Reaktion Jochens zu übergehen.
„Was?“, fragte der Abgelenkte wieder.
Manzetti befürchtete zu Recht, dass sich beide nun längere Zeit in Kleinigkeiten ergehen und ihn die Langeweile erdrücken würde. Deshalb schlich er sich ins Arbeitszimmer und setzte sich zu den Kindern, die bereits von der hervorragenden Computeranlage des Innenarchitekten Besitz ergriffen hatten. Virtuell richteten sie ein Wohnzimmer ein, drehten es in dreidimensionale Ansichten und rückten Fenster, Stühle und Tische. Von ihrem Vater nahmen sie keine Notiz.
Als der nach einigen Minuten wieder in die Halle der Wohnung ging, standen zwei Espressotassen auf dem Glastisch, und die beiden hatten ihn kalt werden lassen. In ihrer munteren Unterhaltung hatten sie alles andere vergessen. „Darf ich euch kurz unterbrechen?“, fragte er mit lauter und besonders tiefer Stimme.
„Aber immer, Liebling“, sicherte Jochen zu und verzog kurz den Mund, als Kerstins kleine Faust seine Hüfte traf.
„Was hast du denn nun herausbekommen?“ Manzetti ließ sich nicht beeindrucken.
„Du meinst sicher deinen Lehrer?“, wollte Jochen wissen. In seiner Stimme klang schon ein wenig herausfordernder Triumph mit.
„Genau.“
„Dann setz dich lieber hin. Das wird nämlich eine längere Geschichte. Möchtest du auch einen Kaffee?“ Jochen wartete die Antwort von Manzetti gar nicht erst ab, und nur Augenblicke später dröhnte die Maschine in der Küche, die offen hinter einem Tresen mit Baldachin lag.
„Also“, begann er, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. „Dieser Martin Becker hatte sich für den Auslandspool der Lehrer beworben und als erstes Angebot Polen erhalten.“ Bei dem Wort rümpfte er die Nase, so als hätte Luft seinen Darm verlassen. Der drohende Zeigefinger Manzettis machte ihm seine Ausländerfeindlichkeit bewusst, und er beeilte sich mit der Entschuldigung. „Nicht wegen des schönen Landes, Andrea-Schätzchen. Da wollte er nicht hin, weil er die Sprache nicht beherrschte, so hat er jedenfalls seine Ablehnung begründet, und schon das zweite Angebot war Namibia, was ihm offensichtlich besser gefiel. Wohl auch, weil man dort unsere Sprache spricht.“
Manzetti hörte interessiert zu und schlürfte seinen Espresso.
„In Namibia wurde er an die DHPS, die Deutsche Höhere Privatschule, nach Windhoek geschickt. Dort blieb er drei Jahre, und als sein Vertrag verlängert werden sollte, da hat er gekündigt und sich merkwürdigerweise an eine Schule im Norden versetzen lassen.“
„Was ist daran so merkwürdig?“, warf Manzetti ein.
„Erst einmal nichts, aber wenn man genauer hinsieht, eine ganze Menge. An der privaten DHPS ist er von Deutschland bezahlt worden und hat letztendlich mehr als hier verdient. Aber an der staatlichen Schule im Norden, wo hauptsächlich schwarze Kinder unterrichtet werden, hat ihn die Regierung von Namibia bezahlt, und sein Einkommen entsprach etwa der Hälfte dessen, was er zuvor bekam.“
„Das ist doch dann aber hochlöblich“, unterbrach jetzt Kerstin, die schon immer sehr beeindruckt war von solch selbstlosem Engagement.
„Das dachte ich auch, Liebes. Aber warum sollte ein solch ehrenwerter Märtyrer dann später eines der Opfer werden, die deinen Mann beschäftigen?“
„Das wirst du uns hoffentlich erzählen“, ermutigte Manzetti.
„Da muss ich dich enttäuschen. Aber einiges war da in Namibia schon noch merkwürdig. Becker lernte nämlich eine Tierärztin kennen, übrigens eine wirkliche Deutsche, nicht nur mit deutscher Abstammung …“ Bei dieser Bemerkung sahen sich
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