Havenhurst - Haus meiner Ahnen
Schnupftabakdose zu. „Die Gesellschaft ist jedoch nicht so scharfsinnig wie ich und auch nicht so freundlich. Man wird Elizabeth Cameron heute abend schneiden, verlassen Sie sich darauf. Nicht einmal die einflußreichen Townsendes und auch nicht meine wichtige Persönlichkeit können das verhindern.“
Er lächelte spöttisch. „Obwohl ich den Gedanken hasse, ich könnte in Ihrer Wertschätzung noch mehr sinken, als ich das soeben bereits getan habe, werde ich Ihnen eine wenig schmeichelhafte Wahrheit über mich verraten, meine schöne Alexa.“
Er steckte sich seine Schnupftabakdose in die Tasche. „Jeder ungebundene Junggeselle, der heute abend dumm genug ist, Interesse für dieses Mädchen zu zeigen, wird morgen zum Gespött der Saison, und ich habe es nicht so gern, wenn man über mich lacht. Mir fehlt der Mut dazu, und deswegen bin ich auch immer lieber derjenige, der seine Scherze über andere macht.“
Roddy griff nach seinem Hut. „Im übrigen ist Elizabeth Cameron in den Augen der Gesellschaft eine gebrauchte Ware. Jeder Junggeselle, der sich ihr nähert, wird als Narr oder als Lüstling betrachtet werden, und er wird dasselbe Schicksal wie sie erleiden.“
An der Tür drehte er sich noch einmal um. Jetzt sah er wieder so unbekümmert und so amüsiert aus wie sonst auch. „Wenn es möglicherweise auch nichts nützt, werde ich heute abend herumerzählen, daß ich für meinen Teil nicht glaube, daß Elizabeth mit Thornton in einer Waldhütte, in einem Gewächshaus oder sonstwo zusammen war. Das mag die Wogen vielleicht zunächst ein wenig glätten, aber bestimmt nicht für lange.“
19. KAPITEL
Weniger als eine Stunde später erwies es sich, daß Roderick Carstairs Vorhersage zutraf.
Alexandra mußte sich eingestehen, daß dies das erste Mal war, daß sie und ihr Gemahl nicht von Freunden, Bekannten oder auch nur von Neugierigen umlagert waren. Statt dessen warfen die Tanzenden immer wieder vieldeutende Blicke zu Elizabeth hinüber. Alexa war den Tränen der Wut nahe. Wenn sie ihre tapfer lächelnde Freundin anschaute, schwankte sie zwischen Schuldgefühlen und Mitleid.
„Wenn du erlaubst“, sagte Elizabeth mit einer gequälten Stimme, die ihr Lächeln Lügen strafte, „werde ich jetzt nach einem Toilettenraum suchen und meine Garderobe in Ordnung bringen.“ Ihre Garderobe war natürlich vollkommen in Ordnung, und das wußten sie beide.
„Ich komme mit dir“, erklärte Alexandra.
Elizabeth schüttelte den Kopf. „Alexa, wenn du gestattest ... ich möchte für ein paar Minuten allein sein. Weißt du, die laute Musik, der Lärm hier...“ log sie tapfer. Sie drehte sich um und schritt hocherhobenen Hauptes zwischen sechshundert Menschen hindurch, die entweder ihrem Blick auswichen oder sich lachend und flüsternd abwandten.
Anthony, Matthew, die Herzoginwitwe und Alexandra schauten ihr nach, wie sie anmutig die Treppe hinaufstieg. Matthew, der auf sämtliche Ballgäste wütend war, sah, daß es seiner Gemahlin nicht anders erging; gleich würden ihr noch die Tränen über die Wangen rollen. Beschützend legte er ihr den Arm um die Schultern.
„Wenn es dich tröstet, Liebling“, sagte er, „ich meine, Elizabeth Cameron ist die mutigste junge Dame, die ich je kennengelernt habe — mit Ausnahme von dir natürlich.“
„Danke.“ Alexandra versuchte zu lächeln, zumal da jetzt, nachdem Elizabeth fort war, die Bekannten heranströmten, die zuvor einen großen Bogen um die Townsendes gemacht hatten.
„Das wird denen noch leid tun!“ erklärte die Dowager Duchess of Hawthorne eisig und wandte zweien ihrer engsten Freundinnen, die jetzt ebenfalls herbeikamen, demonstrativ den Rücken.
Alexa blickte ihren Gatten an. „Wenigstens ist Elizabeth nicht ganz ohne Bewunderer“, scherzte sie traurig. „Sir Francis Belhaven hat sich immer wieder an sie herangemacht.“
„Weil er bei allen Leuten auf der schwarzen Liste steht und sich niemand dazu herabgelassen hat, ihm die Gerüchte über Elizabeth weiterzutragen. Bis jetzt jedenfalls“, fügte er hinzu, als er sah, wie zwei ältere Stutzer an Belhavens Ärmel zupften, mit dem Kopf auf Elizabeths Rücken deuteten und dann auf Sir Francis einredeten.
★
Fast eine halbe Stunde stand Elizabeth allein in einem kleinen, dunklen Salon und versuchte, sich wieder zu fassen. Von draußen her hörte sie die erregten Stimmen einiger Gäste, die etwas diskutierten, was Elizabeth zu jedem anderen Zeitpunkt erschüttert hätte: Ian Thornton war
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