Havenhurst - Haus meiner Ahnen
soeben zum legitimen Erben des Duke of Stanhope erklärt worden. Jetzt aber fühlte sie nur noch ihren eigenen Kummer.
Als es sich nicht mehr umgehen ließ, kehrte sie wieder in den Ballsaal zurück. Die bösartigen Blicke, die sie auf ihrem Weg durch die Menge verfolgten, versuchte sie zu übersehen.
Die Musik, die sie einst so sehr geliebt hatte, kam ihr jetzt wie ein mißtönendes Plärren vor. Das Lachen und die lauten Gespräche ringsum waren für sie ein unerträglicher Lärm, und über allem stand der Butler oben auf den Treppenstufen, die in den Ballsaal herabführten, und meldete mit unüberhörbarem Ruf die jeweiligen Neuankömmlinge. Und jedem von ihnen würde von bereits anwesenden Freunden und Bekannten binnen kurzem zugetuschelt werden, daß Elizabeth Cameron sich auf diesem Ball befand. Dann würde der alte Klatsch wieder aufgewärmt werden, und noch mehr Menschen würden Elizabeth mit größter Verachtung anstarren.
Als sie sich den Townsendes näherte, sah sie, daß sich Sir Francis Belhaven, der mit einer lächerlichen rosa Kniehose und einem Gehrock aus gelbem Satin bekleidet war, in einem angeregten Gespräch mit Alexa und Matthew, dem Duke of Hawthorne, befand. Sie schaute sich nach einem Versteck um, wo sie bleiben konnte, bis er fort war, und dabei entdeckte sie in sechs, sieben Schritten Entfernung eine Gruppe von Personen, die sie nie hatte Wiedersehen wollen: Viscount Mondevale beobachtete sie, und um ihn herum standen Damen und Herren, die sie einst als ihre Freunde und Freundinnen bezeichnet hatte.
Elizabeth blickte sozusagen durch den Viscount hindurch und setzte ihren Weg zu Alexa und deren Gatten fort. Zu ihrer Überraschung hielt Mondevale sie auf, kurz bevor sie die Townsendes erreicht hatte.
Er sah blendend aus, machte ein ernstes Gesicht und schien sich nicht besonders wohl zu fühlen. „Elizabeth“, sagte er leise, „Sie sehen reizender denn je aus.“
Viscount Mondevale war nun wirklich der letzte Mensch, von dem Elizabeth Mitgefühl erwartet hätte. War es überhaupt Mitgefühl? „Ich danke Ihnen, Mylord.“ Ihre Stimme klang vollkommen nichtssagend.
„Was ich sagen wollte ...“ Er versuchte, ihre Miene zu deuten. „Ich wollte sagen, daß ... daß es mir leid tut.“
Jetzt wurde Elizabeth erst recht ärgerlich. Noch höher reckte sie ihr Kinn. „Was tut Ihnen leid, Sir?“
Er hob die Hand, ließ sie aber sofort wieder sinken. „Die Rolle, die ich bei dem gespielt habe, was Ihnen ... widerfahren ist.“
„Was soll ich jetzt dazu sagen?“ Elizabeth wußte es wirklich nicht.
Mondevale lächelte unfroh. „Ich an Ihrer Stelle würde mir ohne zu zögern wegen dieser verspäteten Entschuldigung eine Ohrfeige geben.“
Mit einem Anflug von Humor und einer huldvollen Neigung ihres Kopfes erwiderte Elizabeth: „Das würde ich in der Tat sehr gern tun.“
Seltsamerweise schaute Mondevale sie jetzt noch bewundernder an als zuvor, und nachdem er keine Anstalten machte, sich von ihrer Seite zu entfernen, blieb ihr nichts weiter übrig, als ihn den Townsendes vorzustellen.
Während er nun mit Matthew Höflichkeiten austauschte, sah Elizabeth zu ihrem Schrecken, daß Valerie, gefolgt von Penelope, Georgina und den anderen, herankam. Offensichtlich paßte es ihr nicht, daß Mondevale sie vorübergehend allein gelassen hatte.
Jetzt sah sich Elizabeth gleich mehreren Problemen auf einmal gegenüber. Erstens wollte sie sich von dem noch immer auf die Townsendes einredenden Sir Francis Belhaven entfernen, gleichzeitig aber auch Alexa von dessen penetranter Gegenwart befreien, und nun kam zu ihrem Entsetzen auch noch Valerie auf sie zu. Elizabeth saß in der Falle.
Verächtlich musterte Valerie Elizabeths blasses Gesicht. „Sieh mal an, Elizabeth Cameron! An einem Ort wie diesem hätten wir dich wirklich nicht erwartet.“
„Das glaube ich gern.“ Ihre Stimme klang beherrscht, aber Elizabeth wußte, daß sie selbst nicht mehr lange würde durchhalten können. Ihr war, als müßte sie ersticken. Der große Saal schien sich um sie zu drehen.
Die Townsendes waren für sie wie eine abgeschiedene Insel gewesen, aber nun wandten sich die Leute um und wollten sehen, wer es gewagt hatte, sich zu ihnen zu gesellen. Die Walzerklänge schienen sich zu ohrenbetäubendem Lärm zu steigern. Die Stimmen wurden lauter. Immer mehr Menschen strömten die in wenigen Schritten Entfernung befindliche Treppe herunter, und über allem erscholl die endlos monoton dröhnende Stimme des
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