Havoc
als die Stille ihr schier unerträglich erschien. »Mich würde zum Beispiel interessieren, was ich gemacht habe, als ich das erste Mal in Malice war. Jetzt müssen wir uns doch keine Sorgen mehr machen, dass uns jemand belauschen könnte, oder?«
Scotty warf ihr über die Schulter einen Blick zu. »Du hast Recht. Ich sollte euch sowieso noch ein bisschen was zu Havoc erzählen.« Er dachte einen Moment nach. »Okay. Also, am Anfang war Havoc eigentlich bloß eine kleine, nicht besonders gut organisierte Bande von Jugendlichen, die es irgendwie geschafft hatten, Tall Jake zu entkommen und in die Stadt zu flüchten. Sorgfältig geplante Aktionen gab es damals noch nicht. Die waren schon damit zufrieden, wenn es ihnen gelang, für möglichst viel Chaos zu sorgen. Na ja, ehrlich gesagt waren die meisten von ihnen ziemliche Angeber.«
»Klingt ja sehr sympathisch«, bemerkte Justin, der hinter Tatyana herlief und das Schlusslicht bildete.
»Aber warum hast du dich ihnen dann angeschlossen?«, fragte Kady. »Du kommst mir eigentlich nicht so vor, als würdest du dich von solchen Typen beeindrucken lassen.«
»Tu ich auch nicht. Aber ich wusste genau, dass ich in Malice alleine nicht lange überleben würde, und irgendwas muss denen an mir gefallen haben, jedenfalls haben sie mich gefragt, ob ich bei ihnen mitmachen will.« Er grinste. »Und eines Tages bist dann plötzlich du aufgetaucht und hast sofort angefangen, alle herumzukommandieren.«
»Ja, das hört sich nach der Kady an, die ich kenne«, stimmte Justin ihm zu.
»Hey!«, protestierte Kady. Dann dachte sie einen Moment nach und sagte: »Okay, ich muss zugeben, dass sich das wirklich nach mir anhört.«
»Ich hab keine Ahnung, wie du es geschafft hast, aber die Typen haben dich als Anführerin anerkannt«, erzählte Scotty weiter. »Du hattest gute Ideen und hast ihnen klargemacht, dass es ziemlich wirkungslos ist, planlos Chaos zu stiften, ohne ein konkretes Ziel im Auge zu haben. Erst durch dich ist Havoc zu einer gut organisierten und strukturierten Widerstandsgruppe geworden.«
»Echt?« Kady sah ihn erstaunt an.
»Ja. Danach haben wir uns erst mal darauf konzentriert, möglichst viele Jugendliche zu retten und mit anderen Gruppen Kontakt aufzunehmen, die auch gegen Tall Jake kämpfen. Sie leben überall in Malice verstreut und arbeiten im Untergrund. Tall Jake hat sich eine Menge Feinde geschaffen, als er die Herrschaft über das Land an sich gerissen hat. Wir hatten schon bald ziemlich viele neue Mitglieder und gute Beziehungen zu den anderen Rebellengruppen.«
»Und das war wirklich ich , die das alles zustande gebracht hat?« Kady schüttelte den Kopf. »Das klingt irgendwie mehr nach meiner Mutter, die ist in unserer Familie eigentlich das Organisationstalent.«
Justin seufzte. »Jetzt tu doch nicht so, Kady. Als du in London warst, hast du immerhin Icarus Scratch und den Black-Dice-Comicladen aufgespürt. Du hast es geschafft, nach Malice zurückzukommen und uns aus der Oubliette zu retten. Ich trau dir absolut zu, dass du in der Lage bist, ein paar Jungs zu sagen, wo’s langgeht.«
»Kann es sein, dass du krank bist, Justin?« Kady grinste. »Dir ist schon klar, dass das, was du da gerade gesagt hast, einem Kompliment gefährlich nahekommt, oder?«
»Etwas, was einem Kompliment noch näher kommt, wirst du von mir bestimmt nicht hören«, brummte Justin.
Als Kady weiterging, hatte sie plötzlich das Gefühl zu schweben. Wenn sie es sich recht überlegte, war sie zu Hause einfach nie wirklich gefordert gewesen. Was tatsächlich in einem steckte, fand man eben erst dann heraus, wenn man ernsthaft auf die Probe gestellt wurde.
Sie musste plötzlich an Seth denken. »Wir müssen uns überhaupt keinen Herausforderungen stellen«, hatte er oft gesagt. »Unser Leben ist viel zu einfach. Unsere Urgroßeltern waren im Krieg, wir hocken höchstens vor dem Computer und spielen Krieg.«
Kady hatte zwar nichts dagegen, keinen echten Krieg erleben zu müssen, aber es war beruhigend zu wissen, dass sie eine Herausforderung meistern konnt e – selbst wenn sie nur durch Scotty davon wusste.
»Schön dass wir geklärt haben, was für eine Superheldin ich bin«, sagte sie fröhlich. »Aber wie ging es dann mit Havoc weiter?«
Scotty grinste und warf Justin einen Blick zu.
Der verdrehte bloß die Augen. »Ja, unsere Kady ist wirklich unglaublich bescheiden«, sagte er.
Tatyana schüttelte den Kopf und stieß ein tiefes, blechernes Knurren aus.
Kady
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