Hawaii
haben.«
»Aber das Schicksal der Mission? Die Grundlage unserer Kirche?«
»Abner«, sagte sie beschwichtigend, »ich bin überzeugt, daß der Mann wieder rückfällig wird, und er mag uns auch Schaden zufügen. Aber am Donnerstagnachmittag, als er vom Mast herabkletterte, da war er Gott nahe. Er rettete mein Leben und deins. Und die Idee Gottes hat für mich keine Bedeutung, wenn Er in solchen Augenblicken nicht willens ist, selbst einem bösen Menschen mit Liebe zu begegnen.«
»Was verstehst du unter der Idee Gottes?«
»Abner, glaubst du denn, daß Gott ein Mann ist, der sich hinter Wolken verbirgt?«
»Ich glaube, daß Gott jedes deiner Worte hört, und ich glaube,
daß Er ebenso verwundert ist wie ich.« Aber ehe er seine Strafpredigt fortsetzen konnte, umarmte ihn Jerusha, deren braune Locken ihr um das Gesicht tanzten. Sie küßte ihn von neuem, und beide sanken in die schmale Koje.
Es war lange nach Mitternacht, als Abner Hale beunruhigter denn je seine Koje verließ und an Deck ging, wo einige Sterne genügten, um die Düsternis der antarktischen Nacht zu erhellen. Er war beunruhigt, einmal weil Jerusha dem alten Mann ihre Bibel gegeben hatte, und zwar gegen seinen Willen; aber er war noch mehr beunruhigt über sein wachsendes Verlangen nach Jerushas trostreichem Körper. Dreimal schon hatten auf dieser Fahrt größere Auseinandersetzungen damit geendet, daß sie ihn lachend in die enge Koje zog und den Vorhang herunterließ. Und jedesmal hatte er während der nächsten verwirrenden halben Stunde Gott und die Probleme Gottes vergessen. Er konnte nur sagen, daß Jerusha Bromley-Hale aufregender war als der Sturm und friedlicher als die stillste See.
Er war überzeugt, daß eine solche Unterwerfung von seiner Seite Sünde war. Er hatte oft zugehört, wenn sich John und Amanda Whipple in der überfüllten Kabine die Zeit vertrieben. Er hatte das plötzliche Verstummen ihres Geflüsters bemerkt, dem dann seltsame Geräusche und Amandas unbeherrschte Schreie folgten, und er hatte gedacht, daß er es hier mit dem zu tun habe, was die Kirche >geheiligte Freude< nannte. Er hatte diese Sache mit Jerusha diskutieren wollen, aber dann schämte er sich, davon anzufangen, denn dann und wann hatten ihn selbst die Ausbrüche solcher >geheiligten Freude< moralisch betäubt zurückgelassen. Alles, was so geheimnisvoll und mächtig war, mußte böse sein, und oft genug sprach ja auch die Bibel von Frauen, die die Männer versuchten und sie zu großem Unheil verführten. Bei seiner geringen Lebensklugheit kam Abner deshalb zu dem Schluß, daß es für ihn als Missionar besser gewesen wäre, wenn Jerusha nicht so dicht bei ihm gelegen hätte. Sie war allzu berauschend, allzu erfüllt mit
>geheiligter Freude<.
Wenn er aber bei diesem beunruhigenden Schluß angelangt war, mußte er sich die Tatsache vor Augen halten, die jedem Dummkopf klar war, daß ein Geistlicher, der ohne Frau lebte, nicht besser war als ein Pfaffe; und wenn es etwas gab, was er von ganzem Herzen verabscheute, so war es pfäffisches Wesen. Die großen Männer des Alten Testaments hatten Frauen, überlegte er, und erst bei dem Apostel Paulus hörte man solche Warnungen: »Den Ledigen - sage ich: es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich. Wenn sie aber sich nicht können enthalten, so laß sie freien; es ist besser freien, als von Begierde verzehrt werden.« Was hat ein solcher Text zu bedeuten? fragte er sich während dieser Nacht. Er ging mehrere Stunden auf und ab, und die Nachtwache spottete: »Er muß tatsächlich wieder den Missionarstanz aufführen!« Aber da diese Matrosen einfacheren Gemütes waren und das Problem von Mann und Frau längst für sich gelöst hatten, wäre ihnen die Verwirrung kaum verständlich gewesen, in der sich Abner befand. »Liebe ich Jerusha zu sehr?« fragte er in die graue Nacht hinein. Aber jedesmal, wenn er sich dem Schluß näherte, daß er sie weniger lieben sollte, mußte er an ihre überwältigende Anmut denken, und dann rief er: »Nein! Das ist Katholizismus!« So kehrte er wieder in das Zentrum seiner Verwirrung zurück, und die Nachtstunden vergingen mit allen ihren süßen Versuchungen.
Der Sonntag stieg frisch und klar herauf, und zum erstenmal während dieser Reise sollte die ganze Missionarsfamilie an dem Gottesdienst auf Deck teilnehmen, wo ein eisiger Wind aus der Antarktis wehte. Da es ein besonders festlicher Anlaß war, baten die vier Frauen in Abners Kabine ihre Männer hinauszugehen, damit
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