Hawaii
werden morgen zwei von uns opfern müssen.
Der Hohepriester dachte gar nichts. Er war zu erstaunt über die Verletzung des Tabus, um etwas anderes zu tun, als mit seinem Stab auf die anstößige Frau zu deuten. Sogleich sprangen vier Priester hinzu, ergriffen sie, zerrten sie zur Lagune und drückten ihren Kopf unter Wasser. Aber mit teuflischer Kraft entwand sich das Weib ihrem Griff, hob ihren Kopf über das Wasser und schrie prophetisch: »Auweh! Auweh, Bora Bora!« Ein Priester schlug ihr einen Stein ins Gesicht, und als sie zurücktaumelte, sprangen zwei andere Priester hinzu und hielten sie so lange unter Wasser, bis sie verendet war. Aber dadurch war das verletzte Tabu noch nicht gesühnt, und der Hohepriester rief: »Wessen Frau war das?«Irgend jemand wies auf einen Sklaven im Kanu. Der Hohepriester nickte leicht. Rasch trat aus dem Hintergrund der Plattform ein grobschlächtiger Priester vor, der dieses Amt seit Jahren innehatte, und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag seiner Kriegskeule den Schädel des ahnungslosen Sklaven. Der Körper sackte zusammen, aber noch ehe sein Blut das Kanu beflecken konnte, wurde er kopfüber in die Lagune gestoßen, wo ihn ein anderer Priester als Opfer für den Altar der Insel auffischte. Ohne weitere Anweisung wurde ein anderer Sklave vom Ufer auf das Kanu gehoben, und unter solch unheilvollen Zeichen stach WARTET-AUF-DEN-WESTWIND in See. Als habe es teil an der Schuld, die sich über seine Passagiere gesenkt hatte, jagte das Kanu diesmal nicht so leicht auf das Riff zu, sondern bewegte sich nur zögernd, und als die Sterne aufgingen, die Teroro leiteten, hatte WARTET-AUF-DEN-WESTWIND erst ein kleines Stück seines düsteren Weges zum Tempel des Oro auf der Insel Havaiki zurückgelegt.
Kurz vor der Dämmerung, als das Gestirn, welches von Astronomen in anderen Teilen der Erde längst >Löwe< getauft worden war, im Osten aufging, kamen die Seher, deren Aufgabe es war, solche Dinge zu bestimmen, darin überein, daß die Zeit nahe sei. Der Hohepriester wurde gefragt, und er bestätigte die Tatsache, daß die rotfingrige Stunde der Dämmerung, die Stunde Oros, bevorstand. Er nickte, und eine riesige, locker bespannte Trommel ließ ihre langsamen Rhythmen über das Meer erschallen. Der Rest der Welt verharrte schweigend, auch die plätschernden Wellen und die Vögel, die gewöhnlich im Morgengrauen zu schreien begannen, schienen vor der Ankunft des schrecklichen Oro zu verstummen. Nur das Trommeln war zu hören, bis Teroro, als die Nacht verblich und rote Streifen über den östlichen Horizont zogen, das Dröhnen einer anderen Trommel und schließlich das einer dritten in der Ferne vernahm. Die Kanus, die einander noch unsichtbar waren, begannen sich zu dem feierlichen Zug in den Kanal von Havaiki zu versammeln. Jetzt verstärkte sich das Trommeln zu einem wilden Getöse, und als das Rot der Morgendämmerung lichter wurde, gewahrte man auf der stillen See die hohen Segel und die schlaff herabhängenden Wimpel der anderen Kanus. Der Hohepriester bewegte seine Hände schneller, die Trommler beschleunigten den Rhythmus auf ihren Instrumenten und die Ruderer begannen das Kanu schneller zu dem Versammlungsplatz zu treiben. Als die rote Sonne sich über den Horizont erhob, hatten sich elf Kanus in leuchtenden Farben und mit Opfergaben beladen zu einem majestätischen Zug geordnet und fuhren auf den Tempel des Oro zu. Teroro beobachtete sorgfältig die anderen Schiffe und stellte zufrieden fest: »Niemand hat ein Kanu wie wir.«
Die Trommeln verstummten plötzlich, und der Hohepriester begann einen erregten Gesang, in den ein fürchterlicher, unmenschlicher Ton einfiel: eine wie wild geschlagene lange, schmale Trommel. Als ihr herzzerreißender Ton bis zum äußersten anschwoll, schrie der Hohepriester, und der Henker zertrümmerte mit einem Schlag den Schädel des Höflings, der zur unrechten Zeit geschlafen hatte.
Ehrfurchtsvoll ergriffen Tempeldiener den Körper, während andere die Blätter entfernten, die die früheren Opfer bedeckt hatten: den Fisch, den Hai, die Schildkröte und das Schwein. Nun zeigte sich, weshalb zwischen diesen Gaben der Zwischenraum gelassen worden war. In den ersten wurde sorgfältig der tote Körper des Höflings gelegt.
Der Gesang wurde wieder aufgenommen, und die schreckliche Trommel begann ihr Jammergehe ul für den säumigen Späher. Die Keule fiel mit furchtbarer Gewalt, und der tote Körper wurde zwischen den Hai und die Schildkröte
Weitere Kostenlose Bücher