Hawks, John Twelve - Dark River
finden.
Gabriel stand auf, schob die Matratze weg und verließ Pickerings Versteck. Als er das Gebäude erkundete, fiel ihm auf, dass es früher einmal in einzelne Büros unterteilt gewesen war. Die Leute hatten Schreibtische, Stühle, Aktenschränke und altmodischen Schreibmaschinen zurückgelassen, und nun war alles von einer weißen Staubschicht bedeckt. Wer hatte hier gearbeitet? Hatten die Leute an jenem Morgen, als sie ihre Wohnungen verließen und zur Arbeit gingen, das vage Gefühl gehabt, dass all das hier nur ein verlängerter Traum war?
Immer noch auf der Suche nach Wasser, kam er an einem eingeschlagenen Fenster vorbei und warf einen Blick auf die Straße hinunter. Zwei rußbedeckte Autos hatten sich ineinander verkeilt; die eingedrückten Motorhauben sahen aus wie zerknitterte Pappkartons. Pickering kam um die Ecke, und schnell lehnte Gabriel sich in den Schatten zurück. Der dünne Mann blieb stehen und warf einen Blick über die Schulter, als warte er auf jemanden.
Sekunden später erschienen fünf Männer. Wenn Pickering eine Kakerlake war, handelte es sich bei ihnen zweifellos um Wölfe. Sie trugen eine seltsame Kombination bunt zusammengewürfelter Kleidung, die verschiedenster Herkunft war. Ein blonder Mann mit geflochtenem Haar trug Khakishorts und eine schwarze Smokingjacke mit Satinrevers. Neben ihm ging ein Schwarzer in einem weißen Laborkittel. Die Wölfe waren mit selbst hergestellten Waffen ausgerüstet – Keulen, Schwerter, Äxte und Messer.
Gabriel verließ sofort das Zimmer, bog falsch ab und landete in einer weiteren Flucht menschenleerer Büros. Als er endlich die Marmortreppe gefunden hatte, konnte er Pickerings atemlose Stimme im Erdgeschoss hören.
»Hier entlang, meine Herren. Hier entlang.«
Gabriel lief die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Er spähte zurück in den Treppenschacht und sah eine orangefarbene Flamme aufleuchten. Einer der Wölfe hatte eben eine primitive Fackel aus einem teergetränkten Lumpen angezündet, der um ein Tischbein gewickelt war.
»Ich habe Sie nicht angelogen«, sagte Pickering. »Er war hier. Schauen Sie, er ist die Treppe raufgegangen. Können Sie es sehen?«
Gabriel wurde klar, dass er in dem weißen Staub auf den Treppenstufen seine Fußabdrücke hinterlassen hatte. Der Flur hinter ihm war ebenfalls mit Staub bedeckt. Egal, wohin er ging – die Wölfe würden seine Spur verfolgen können.
Ich darf nicht hierbleiben , dachte er und lief weiter treppauf. Im vierten Stock endete die Treppe. Gabriel kam an einer stählernen Feuertür vorbei, die in einer Angel hing, und fand sich auf dem Dach wieder. Die gelblich grauen Wolken am Himmel hatten sich verdunkelt und aufgetürmt, so als würde gleich ein heimtückischer Regen losbrechen. Er starrte über die Stadt hinweg und konnte die zertrümmerte Brücke und die schwarze Flusslinie erkennen.
Gabriel trat an die niedrige Sicherheitsmauer, die einst um das Dach herumlief. Zwischen ihm und dem nächsten Hausdach klaffte eine fünf Meter breite Lücke. Wenn der Sprung misslang, würde er nie wieder in seine Welt zurückkehren können. Würde Maya jemals seine Leiche sehen? Würde sie ihr Ohr an seine Brust legen und begreifen, dass sein Herz für immer zu schlagen aufgehört hatte? Er lief ein Mal, dann ein zweites Mal um das Dach herum, nur um zum ursprünglichen Punkt zurückzukehren. Die Sicherheitsmauer machte es unmöglich, Anlauf zu nehmen und weit zu springen.
Die Feuertür wurde aus der Angel gerissen und in den Treppenschacht geworfen. Pickering und die Patrouille kamen auf das Dach. »Sehen Sie? Ich habe es doch gesagt!«, rief Pickering.
Gabriel kletterte auf die Betonmauer und sah zum Nachbargebäude hinüber. Es ist zu weit , dachte er. Viel zu weit.
Die Wölfe richteten ihre Waffen auf ihn und stürzten ihm entgegen.
SIEBENUNDZWANZIG
Z wei der Tabula-Söldner liefen zum Helikopter und kamen mit einem tragbaren Generator zurück. Der Generator wurde neben der Vorratshütte abgestellt und an eine Natriumdampflampe angeschlossen. Michael blickte kurz nach oben. Die abertausend Sterne, die am Nachthimmel strahlten, erinnerten ihn an kleine Eissplitter. Es war jetzt sehr kalt, und der kondensierte Atem der Männer hing wie dünner Nebel in der Luft.
Michael war enttäuscht, weil sich weder sein Vater noch Gabriel auf der Insel aufhielten. Trotzdem war die Operation kein kompletter Fehlschlag. Vielleicht würde das Team Unterlagen oder Computerdateien finden, die sie auf die
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