Hawks, John Twelve - Dark River
ihr eigenes Blut. Sie konnten nicht einfach beim Laden vorbeifahren und Produkte der petrochemischen Industrie kaufen.«
»Sind Sie Simon Lumbroso?«
»Sie klingen skeptisch. Ich habe auch Visitenkarten, aber leider verliere ich die ständig.« Lumbroso setzte sich eine Brille mit dicken Gläsern auf, die seine dunkelbraunen Augen vergrößerten. »Namen sind heutzutage sehr vergänglich. Manche Leute wechseln ihren Namen so wie andere ihre Schuhe. Und wie heißen Sie, Signorina?«
»Rebecca Green, aus London. Ich habe die Brosche im Hotel gelassen, aber vielleicht kann ich eine Zeichnung für Sie anfertigen. Dann wissen Sie, wie sie aussieht.«
Lumbroso lächelte und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber da werde ich das Originalstück brauchen. Falls sie mit einem Stein besetzt ist, kann ich ihn entfernen und die Patina in der Fassung untersuchen.«
»Geben Sie mir ein Stück Papier. Vielleicht erkennen Sie die Herkunft.«
Mit skeptischer Miene reichte Lumbroso ihr Block und Filzstift. »Wie Sie wünschen, Signorina.«
Rasch zeichnete Maya eine Harlequinlaute. Sie riss die Seite aus dem Block und legte sie auf die Werkbank. Simon Lumbroso warf einen kurzen Blick auf das Oval mit den drei Linien, dann drehte er sich andeutungsweise in Mayas Richtung und studierte ihr Gesicht. Maya fühlte sich wie ein Kunstobjekt, das zur Begutachtung in sein Haus gebracht worden war. »Ja, selbstverständlich erkenne ich die Herkunft. Wenn Sie erlauben, habe ich vielleicht noch mehr Informationen für Sie.«
Er ging zu einem großen Safe hinüber, der an der Wand stand, und drehte am Zahlenschloss. »Sie sagten, Sie stammen aus London. Wurden Ihre Eltern in Großbritannien geboren ?«
»Meine Mutter stammt aus einer Sikh-Familie in Manchester.«
»Und Ihr Vater?«
»Er war Deutscher.«
Lumbroso öffnete den Safe und nahm einen Schuhkarton heraus, in dem über einhundert nach Datum geordnete Briefe lagen. Er stellte den Karton auf die Werkbank und sah den Inhalt durch. »Über die Brosche kann ich nichts sagen. Ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass sie überhaupt existiert. Ich kann Ihnen jedoch etwas über Ihre Herkunft erzählen.«
Er öffnete einen Umschlag, zog ein Schwarzweißfoto heraus und legte es auf den Tisch. »Ich glaube, Sie sind die Tochter von Dietrich Schöller. So jedenfalls hieß er, bis er ein Harlequin wurde und sich Thorn nannte.«
Maya studierte das Foto und war überrascht, sich selbst zu sehen, wie sie im Alter von neun Jahren neben ihrem Vater auf einer Bank im St. James’s Park saß. Vielleicht hatte ihre Mutter das Bild aufgenommen?
»Woher haben Sie das?«
»Ihr Vater hat mir fast vierzig Jahre lang Briefe geschickt. Ich habe auch eins Ihrer Babyfotos, wenn Sie es sehen möchten.«
»Harlequins lassen sich nie fotografieren, es sei denn für einen gefälschten Pass oder irgendeinen anderen Ausweis. Wenn der Fotograf in die Schule kam, bin ich immer zuhause geblieben.«
»Tja, Ihr Vater hat einige Fotos geschossen, und dann hat er sie bei mir eingelagert. Wo ist er, Maya? Ich habe Briefe an ein Prager Postfach geschickt, aber sie sind alle zurückgekommen.«
»Er ist tot. Von der Tabula ermordet.«
Lumbrosos Augen füllten sich mit Tränen für Mayas Vater – ihren gewalttätigen, arroganten Vater. Er schniefte, entdeckte eine Packung Taschentücher auf der Werkbank und putzte sich lautstark die Nase. »Diese Nachricht überrascht mich nicht. Dietrich hat ein sehr gefährliches Leben geführt. Trotzdem betrübt mich sein Tod sehr. Er war mein bester Freund.«
»Ich glaube nicht, dass Sie meinen Vater überhaupt gekannt haben. Er hatte in seinem ganzen Leben keinen Freund. Er hat niemanden geliebt, nicht einmal meine Mutter.«
Lumbroso wirkte erst verwundert, dann traurig. Er schüttelte langsam den Kopf. »Wie können Sie so etwas sagen? Ihr Vater hat Ihre Mutter sehr respektiert. Nach ihrem Tod war er sehr lange Zeit depressiv.«
»Davon weiß ich nichts, aber ich weiß noch sehr gut, was passiert ist, als ich ein kleines Mädchen war. Mein Vater hat mir beigebracht, andere Menschen zu töten.«
»Ja, er hat einen Harlequin aus Ihnen gemacht. Ich werde seine Entscheidung nicht verteidigen.« Lumbroso stand auf, ging zu einem hölzernen Kleiderständer und nahm ein schwarzes Jackett herunter und setzte sich einen Filzhut auf. »Kommen Sie mit, Maya. Wir sollten etwas essen gehen. Oder, wie wir Römer sagen: ›Keine Geschichte auf leeren Magen‹.«
Simon Lumbroso führte
Weitere Kostenlose Bücher