Hawks, John Twelve - Dark River
ließ der französische Taxifahrer die Türverriegelung zuschnappen.
Mother Blessing befahl dem Fahrer, sie an einer Bushaltestelle aussteigen zu lassen, dann führte sie Hollis durch eine Kopfsteinpflasterstraße zu einer arabischen Buchhandlung. Der Ladenbesitzer nahm kommentarlos einen Umschlag mit Bargeld entgegen und gab Mother Blessing einen Schlüssel. Sie verließ den Laden durch die Hintertür und benutzte den Schlüssel, um ein Vorhängeschloss von einem Garagentor aus Stahl zu entfernen. In der Garage stand ein neuerer Mercedes. An jede Kleinigkeit war gedacht worden: Der Tank war voll, in den Becherhaltern standen Wasserflaschen, und der Schlüssel steckte im Zündschloss.
»Was ist mit dem Fahrzeugschein?«
»Der Wagen gehört einer Briefkastenfirma mit Züricher Anschrift.«
»Und die Waffen?«
»Sollten im Kofferraum liegen.«
Mother Blessing öffnete den Kofferraum und nahm einen Versandkarton heraus, in dem sich ihr Harlequinschwert sowie eine schwarze Segeltuchtasche befanden. Als sie ihren Laptop in der Tasche verstaute, entdeckte Hollis einen Bolzenschneider, Dietriche und eine Sprühdose mit flüssigem Stickstoff, mit dem man Infrarot-Bewegungsmelder lahmlegen konnte. Im Kofferraum standen außerdem zwei Aluminiumkoffer. Darin lagen eine Maschinenpistole aus belgischer Produktion sowie zwei Neun-Millimeter-Automatikpistolen mit Halfter.
»Woher haben Sie das Zeug?«
»Waffen sind immer verfügbar. Das läuft wie bei der Viehauktion in Kerry ab. Man findet einen Anbieter und feilscht um den Preis.«
Mother Blessing zog sich in der Toilette um und kam in schwarzer Wollhose und schwarzem Pullover zurück. Sie öffnete die Ausrüstungstasche und nahm einen elektrischen Schraubendreher heraus. »Ich werde die Black Box des Autos abschalten. Sie hängt am Airbag.«
»Wozu? Soll sie nicht Informationen aufzeichnen, falls wir einen Unfall haben?«
»Das war die ursprüngliche Idee.« Mother Blessing öffnete die Fahrertür und legte sich quer über den Sitz. Sie machte sich daran, die Plastikverkleidung unter dem Lenkrad abzuschrauben. »Unfalldatenschreiber wurden eigentlich erfunden, um Zusammenstöße zu registrieren. Dann fingen die Autovermieter an, Raser elektronisch zu überwachen und zu identifizieren. Inzwischen sind alle neuen Automodelle mit einer Black Box ausgerüstet, die mit dem Navigationssystem verbunden ist. Nicht nur, dass sie wissen, wo das Auto sich befindet – sie können auch nachprüfen, ob man Gas gibt, auf die Bremse tritt oder den Sicherheitsgurt angelegt hat.«
»Wie konnte es so weit kommen?«
Mother Blessing hebelte die Verkleidung auf und legte den Airbagmechanismus des Autos frei. »Wenn die Privatsphäre einen Grabstein hätte, würde Folgendes draufstehen: ›Keine Sorge. Es geschieht nur zu eurem Besten.‹«
Sie nahmen die Autobahn A2 und fuhren über die französische Grenze nach Belgien. Während Mother Blessing sich auf die Straße konzentrierte, verband Hollis den Computer mit einem Satellitentelefon und kontaktierte Jugger in London. Jugger hatte eine weitere Nachricht von den Berliner Free Runnern erhalten. Sobald Mother Blessing und Hollis die Stadt erreicht hätten, sollten sie sich in einem Wohnhaus in der Auguststraße mit den Leuten treffen.
»Hat er irgendwelche Namen genannt?«, fragte Mother Blessing.
»Zwei Free Runner namens Tristan und Kröte.«
Mother Blessing lächelte. »Hübscher Name.«
»Das ist nur sein Spitzname. Mehr nicht. Ich meine … ich bitte Sie! Sie nennen sich Mother Blessing.«
»Diese Wahl habe nicht ich getroffen. Ich bin in einer Familie mit sechs Kindern aufgewachsen. Mein Onkel war ein Harlequin, und meine Eltern haben mich ausgewählt, die Tradition fortzuführen. Meine Brüder und Schwestern wurden Bürger mit Jobs und Familien. Ich dagegen habe gelernt, wie man Menschen tötet.«
»Macht Sie das wütend?«
»Mr. Wilson, manchmal hören Sie sich an wie ein Psychologe. Ist Ihr Gehabe typisch amerikanisch? Wenn ich Sie wäre, würde ich meine Zeit nicht mit Grübeleien über meine Kindheit verschwenden. Wir leben in der Gegenwart und stolpern in die Zukunft.«
Als sie Deutschland erreichten, setzte sich Hollis ans Lenkrad. Mit Schrecken stellte er fest, dass es auf der Autobahn keine Geschwindigkeitsbegrenzung gab. Der Mercedes fuhr einhundertsechzig Stundenkilometer schnell, trotzdem rasten andere Autos an ihnen vorbei. Nach einigen Fahrtstunden kamen die Hinweisschilder für Dortmund,
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