Hawks, John Twelve - Dark River
Tür auf und führte die anderen die Treppe hinunter bis ins Erdgeschoss des Lagerhauses. Hollis öffnete die Tür, und sie kamen in eine Hintergasse, die in die Oliver Street mündete.
Es war etwa zweiundzwanzig Uhr. In den engen Gassen drängten sich junge Leute, die Pekingente und Frühlingsrollen essen wollten, bevor sie in den Clubs die Nacht durchtanzten. Leute stiegen aus Taxis oder standen auf dem Gehweg herum, um die Speisekarten hinter den Restaurantfenstern zu studieren. Obwohl Gabriel und die anderen in der Menge verschwanden, hatte er das Gefühl, sämtliche Überwachungskameras der Stadt verfolgten ihre Bewegungen.
Das Gefühl verstärkte sich noch, als sie durch die Worth Street zum Broadway liefen. Naz ging voran, Hollis neben ihm. Dann folgte Vicki, dahinter Sophia und Alice. Gabriel konnte hören, wie Naz Hollis die Umwandlung des U-Bahn-Verkehrs in ein System mit computergesteuerten Zügen erklärte. Auf manchen Strecken verbrachte der Zugführer seine gesamte Schicht damit, in der Kabine an der Zugspitze zu sitzen und auf die Armaturen zu starren, die ohne ihn funktionierten.
»Ein Computer in Brooklyn startet und bremst die Züge«, sagte Naz. »Man muss nichts weiter tun, als alle paar Stationen einen Knopf zu drücken, nur um zu zeigen, dass man nicht eingeschlafen ist.«
Gabriel warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Maya etwa zwei Meter hinter ihm ging. Die Gurte der Kuriertasche und des Schwertköchers kreuzten sich mitten auf ihrer Brust und sahen aus wie ein großes, schwarzes X. Ihre Augen bewegten sich langsam hin und her wie Kameralinsen, die eine Gefahrenzone scannen.
Auf dem Broadway bogen sie nach links ab und näherten sich einem dreieckigen Park. City Hall war nur wenige Blocks entfernt – ein großes, weißes Gebäude, dessen breite Vordertreppe zu korinthischen Säulen hinaufführte. Dieser Nachbau eines griechischen Tempels befand sich nur ein paar hundert Meter vom Woolworth Building entfernt, einer gotischen Kommerzkathedrale, deren Turmspitze sich in den Nachthimmel bohrte.
»Vielleicht haben die Kameras unsere Spur aufgezeichnet«, sagte Naz. »Ist aber egal. Die nächste Kamera hängt am Ende der Straße. Könnt ihr sie sehen? Sie hängt an der Laterne neben der Ampel. Sie haben zugesehen, wie wir über den Broadway laufen, aber nun werden wir verschwinden.«
Naz verließ den Gehweg und führte sie durch den menschenleeren Park. Neben den asphaltierten Wegen brannten ein paar schwache Sicherheitsleuchten trübe vor sich hin, aber die kleine Gruppe hielt sich im Dunkeln.
»Wohin gehen wir?«, fragte Gabriel.
»Wir stehen direkt über einer stillgelegten U-Bahn-Station. Sie wurde vor hundert Jahren gebaut und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder geschlossen. Keine Kameras, keine Bullen.«
»Und wie kommen wir von dort zum Grand Central?«
»Macht euch darüber keine Gedanken. Mein Freund wird in einer Viertelstunde hier sein.«
Sie durchquerten ein kleines Wäldchen mit verkrüppelten Kiefern und näherten sich einem Wartungsgebäude aus Backstein. Als sie am Lüftungsgitter an der Westseite vorbeikamen, witterte Maya den muffigen Geruch der Unterwelt. Naz führte sie um das Gebäude herum bis zu einer stählernen Sicherheitstür. Er ignorierte die vielen Warnschilder – GEFAHR! UNBEFUGTEN IST DER ZUTRITT VERBOTEN! – und zog einen Schlüsselbund aus seinem Rucksack.
»Wo hast du den gefunden?«, fragte Hollis.
»Im Spind meines Vorarbeiters. Ich habe mir die Schlüssel vor ein paar Wochen ausgeborgt, um sie nachmachen zu lassen.«
Naz schloss die Tür auf und führte sie hinein. Sie fanden sich auf einem Bodengitter aus Metall zwischen Schaltkästen und Stromleitungen wieder; in einer Ecke gab es einen Durchgang mit einer Wendeltreppe. Als die Tür hinter ihnen zufiel, hallte der Knall in dem engen Raum wider. Alice machte zwei schnelle Schritte vorwärts, bis sie ihre Angst unter Kontrolle bekam. Sie sah aus wie ein halbwildes Tier, das man gerade wieder in seinen Käfig gesperrt hatte.
Wie ein riesiger Korkenzieher drehte sich die Wendeltreppe abwärts. Sie endete an einem Absatz, wo über einer zweiten Sicherheitstür eine einzelne Glühbirne brannte. Naz sah die gestohlenen Schlüssel durch und murmelte vor sich hin, während er versuchte, die Tür aufzuschließen. Endlich fand er den richtigen Schlüssel; die Tür bewegte sich jedoch kein Stück.
»Lass mich es versuchen.« Hollis zog das linke Knie an und versetzte dem Türschloss
Weitere Kostenlose Bücher