Hawks, John Twelve - Dark River
auf Rettung aufgegeben hat.
»Ist schon gut.« Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. Von der Sonne war nur ein schmaler Streifen am Horizont übrig geblieben. Gabriels Haut fühlte sich warm an, Mayas kalt – harlequinkalt, für den Rest ihres Lebens.
»Ich werde dir zur Seite stehen, egal, was passiert«, sagte sie. »Das schwöre ich dir.«
Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Aber als Maya ihm das Gesicht zuwandte, sah sie dunkle Schemen auf die Bank zukommen.
»Maya!«, rief Vicki ihnen zu. »Seid ihr da? Alice hat sich Sorgen gemacht. Sie wollte euch suchen …«
In der Nacht regnete es. Am Morgen lag eine dichte Nebelbank über dem Meer. Maya zog einige der Kleidungsstücke an, die sie in London gekauft hatte – Wollhose, dunkelgrüner Kaschmirpulli, Ledermantel mit Winterfutter. Nach dem Frühstück im Pub gingen sie zum Kai hinunter, wo Kapitän Foley sein zehn Meter langes Fischerboot mit Torfsäcken und Vorratskisten aus Kunststoff belud. Er erklärte ihnen, dass der Torf für den Ofen im Kloster benötigt wurde und dass sich in den Plastikkisten Lebensmittel und saubere Kleidung befand. Das Trinkwasser auf Skellig Columba kam aus Steinbecken, die den Regen auffingen; für die Nonnen gab es genug Wasser zum Trinken und zur Körperpflege, aber zu wenig, um die schwarzen Röcke und Hauben zu waschen.
Das Boot hatte ein offenes Hinterdeck zum Hereinziehen der Fischernetze und einen geschlossenen Deckaufbau am Bug, in dem man vor dem Wind geschützt war. Alice schien wegen der bevorstehenden Überfahrt aufgeregt zu sein. Als sie aus der Bucht ausliefen, kletterte sie immer wieder in den Laderaum hinunter, um alles zu inspizieren. Kapitän Foley zündete seine Pfeife an und paffte seinen Passagieren den Qualm entgegen. »Die bekannte Welt«, sagte er und zeigte mit dem Daumen auf die grünen Hügel im Osten. »Und das da …« Er machte eine Geste in Richtung Westen.
»Das Ende der Welt«, sagte Gabriel.
»Das stimmt, mein Junge. Als Sankt Columban und seine Mönche zum ersten Mal auf die Insel kamen, bereisten sie den am weitesten westlich gelegenen Punkt auf der Karte Europas. Letzte Haltestelle.«
Sie verließen die schützende Bucht und fuhren in den dichten Nebel hinein. Es war, als befänden sie sich im Innern einer riesigen Wolke. Das Deck glitzerte, und an den Stahlseilen, die von der Funkantenne baumelten, hingen Tropfen. Nach jeder Welle glitt das Fischerboot in ein Tal, nur um wieder aufzusteigen und mit einem Klatschen den nächsten Kamm zu durchschneiden. Alice hielt sich am Heck an der Reling fest und rannte dann plötzlich zu Maya zurück. Mit aufgeregtem Gesicht zeigte sie auf einen Seehund, der neben dem Boot im Wasser schwamm. Der Seehund starrte zurück wie ein glatter, glänzender Hund, der gerade eine Gruppe von Fremden in seinem Garten entdeckt hat.
Allmählich löste sich der Nebel auf, und sie konnten Flecken von Himmel über ihren Köpfen entdecken. Überall waren Meeresvögel: Sturmtaucher und Sturmschwalben, Pelikane und weiße Tölpel mit schwarz getupften Flügeln. Nachdem sie etwa eine Stunde unterwegs waren, passierten sie eine Insel mit dem Namen Little Skellig, die den Tölpeln als Nistplatz diente. Der nackte Fels war weiß eingefärbt, und Tausende Vögel flatterten durch die Luft.
Eine weitere Stunde verging, bis Skellig Columba aus den Wellen auftauchte. Es sah exakt so aus wie auf dem Foto, das Gabriel im Tyburn Convent gesehen hatte: zwei zerklüftete Gipfel über einer überschwemmten Gebirgskette. Auf der Insel wuchs nur Gestrüpp und Heidekraut, trotzdem konnte Maya weder das Kloster noch ein anderes Gebäude erkennen.
»Wo legen wir an?«, fragte sie Kapitän Foley.
»Geduld, Miss. Wir kommen von Osten. Im Süden der Insel gibt es eine Art Bucht.«
Foley umschiffte die Felsen weiträumig und steuerte dann auf einen Holzsteg zu, der von Stahlpfählen gehalten wurde. Der Steg führte auf eine Betonplattform, die mit Maschendraht umzäunt war. Ein unübersehbares Schild mit roten und schwarzen Buchstaben erklärte die Insel zum Naturschutzgebiet und verbot jedem den Zutritt, der nicht eine schriftliche Genehmigung des Bistums Kerry bei sich führte. Am Rand der Plattform gab es ein verschlossenes Tor. Dahinter erstreckte sich ein steinerner Pfad, der die Anhöhe hinaufführte.
Kapitän Foley schaltete den Motor aus. Die Wellen drückten das Boot gegen den Steg, und er warf eine Schlinge über einen der Pfähle. Maya, Vicki und Alice kletterten
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