Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
Straßennamen in der Nähe kannte, brauchte ich nur wenige Minuten, um die Newbury Street zu identifizieren. Und mit der Kenntnis der beiden Hausnummern in der Nachbarschaft war es ein Kinderspiel, die Nummer fünfundzwanzig zu finden.
Von da an reichte ein einfaches Telefonverzeichnis, um die Festnetznummer festzustellen. Ich hätte wesentlich mehr herausfinden können, den Marktwert des Hauses, die jährliche Steuerbelastung, die Anzahl der Schlafzimmer oder offenstehende Handwerkerrechnungen – doch mich interessierte nur der Besitzer. Es handelte sich um New Heritage Properties, eine Makler- und Hausverwaltungsfirma auf den Bermudas. Auch abgesehen von dem Oxymoron als Firmennamen sagte mir mein Verstand, dass ich absolut nichts über sie herausfinden würde. Firmen dort handhabten die Verschwiegenheit ähnlich eisern wie die Banken auf den Caymans.
Ich würde nicht besonders weit kommen, jemand anders dagegen schon.
Ich schrieb an Shelly Gross und schilderte ihm die Tagesereignisse. Ich fügte alle mir bekannten Informationen über das Haus hinzu und schloss mit einer weiteren Bitte: »Ich wette, Sie können die Telefonnummer des Kerls herausfinden, der dort heute angerufen hat. Er wird vermutlich Vorkehrungen getroffen haben, aber vielleicht auch nicht. Es könnte eine Menge Laborzeit sparen.«
Außerdem nannte ich ihm Modell und Baujahr der beiden SUV s sowie die Kennzeichen.
»Sicher wird es irgendeine Verbindung geben«, schrieb ich.
Er schrieb kurz darauf zurück.
»Haben Sie diesmal keine hochaufgelösten Fotos, DNS -Proben oder Fingerabdrücke von diesen Männern?«
Nicht lange danach rief Evelyn an.
»Ich habe mit Bruce geredet«, sagte sie. »Ich habe ihm erzählt, jemand vom Betrugsdezernat der Versicherungsaufsicht hätte mich kontaktiert und mir eine Reihe Fragen gestellt, die ich nicht beantworten konnte. Ich behauptete, die Betrugsleute hätten mich gebeten, mit niemandem über das Telefonat zu sprechen, aber das wäre mir egal und deshalb würde ich ihn anrufen. Er klang sehr besorgt. Er hat viele Fragen gestellt, die ich nicht beantworten konnte, vor allen Dingen, weil ich mir das alles ausgedacht habe. Ich sagte, sie hätten mich befragen wollen, aber ich hätte Angst, das allein durchzustehen, könnte er mir also den Riesengefallen tun und mich begleiten? Als Jungfer in Nöten bin ich nicht so besonders, aber vielleicht hat ihn gerade das überzeugt.«
Vergleichbar mit Hillary Clinton und Margaret Thatcher war Evelyn der letzte Mensch auf Erden, der als Jungfer in Nöten irgendwie überzeugend wirken würde. Egal unter welchen Umständen.
»Vermutlich«, sagte ich. »Ausgezeichnete Arbeit.«
»Das hoffe ich. Jetzt bist du an der Reihe. Und halt mich auf dem Laufenden.«
Ich beendete das Gespräch mit widerstreitenden Gefühlen. Bewunderung für die Courage und den Einfallsreichtum meiner Schwester, gepaart mit einer vagen Panik davor, einen Trick durchzuziehen, den ich nicht selbst entworfen hatte.
Betrugsdezernat der Versicherungsaufsicht? Gab es das überhaupt?
Ich begab mich ins Netz und stellte fest, dass dem so war. Bruce sollte das wissen, da er den größten Teil seiner Laufbahn in Hartford verbracht hatte, dem Versicherungsmekka der Nation. Die Chancen standen gut, dass er den Geschäftsführer und die Hälfte der Mitarbeiter persönlich kannte. Zwei Minuten nach Evelyns Anruf hatte er vermutlich bereits gewusst, dass es weder laufende Ermittlungen gab noch welche in Planung waren. Zumindest musste ich davon ausgehen.
Mir fiel absolut keine Möglichkeit ein, meine Pläne ohne Bruce Finger zu verwirklichen. Und keine, ihn dazu zu zwingen, schon gar nicht ohne sein Wissen und seine Zustimmung.
Ich vergrub den Kopf zwischen den Händen und versuchte krampfhaft, mir eine Strategie auszudenken.
Es klappte nicht, weil es keine gab. Nichts Elegantes, Subtiles oder Risikofreies. Wobei mir wieder einfiel, was ein Vietnamveteran einmal bei einer Befragung zu mir gesagt hatte. Das ursprüngliche Thema hatte ich vergessen, aber ich erinnerte mich, dass die Diskussion eine radikale Wendung genommen hatte, als wir über die Grenzen menschlichen Durchhaltevermögens unter verzweifelten Umständen sprachen.
»Mann, manchmal bleibt einem nur die Flucht nach vorn«, hatte er zu mir gesagt.
Ich nahm mein Handy und rief Bruce Finger an.
»Mr. Finger?«, fragte ich mit meiner Clint-Eastwood-Stimme.
»Wer spricht?«, fragte er zurück.
Ich erzählte ihm, ich wäre Privatdetektiv
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