Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
oder blieb jemals auf einer Website hängen, die nichts mit meiner momentanen Aufgabe zu tun hatte.
Dass ich nicht vollkommen in meiner Besessenheit aufging, verdankte sich regelmäßigen Fahrten nach Süden, um mit Natsumi essen zu gehen. Seltsamerweise wuchs mit jeder Begegnung mein Bedürfnis, ihr mehr und mehr von mir zu erzählen. Als würde sich mein Verstand in zwei Teile spalten – den Eremiten und den Bekenner.
Natsumis Beobachtungsgabe trug dazu bei.
»Du gibst dir sehr viel Mühe, mich zum Mittelpunkt unserer Gespräche zu machen«, sagte sie eines Abends. »Was ich heute gemacht habe, wie es meiner Mutter geht, wie ich über die politische Lage denke. Mir gefällt diese Aufmerksamkeit. Du machst das sehr gut. Aber von dir höre ich nur winzige Häppchen, ehe du hastig das Thema wechselst. Übrigens sehr geschickt, sollte ich wohl sagen.«
»Mein Leben ist nicht besonders interessant«, sagte ich.
»Das zu beurteilen, solltest du lieber mir überlassen. Und außerdem sagen das die Leute immer, wenn sie einem nichts über sich verraten wollen.«
»Woher weißt du das? Kennst du so viele von diesen Leuten?«
»Siehst du? So machst du das. Sehr gerissen. Aber mach dir nichts draus. Ich mag dich trotzdem.«
»Ja? Wie interessant.«
»Deine Frau fehlt dir unheimlich«, stellte sie nüchtern fest. »Wie hieß sie?«
Ich spürte ein Reißen in der Brust, eine Reaktion auf die unheilige Mischung aus Kummer, Paranoia, Schuldgefühlen und Reue.
»Ich kann dir ihren Namen nicht sagen«, antwortete ich.
Sie streckte den Arm über den Tisch und nahm meine Hand.
»Du willst dir nichts ausdenken. Aber ihren echten Namen darfst du mir nicht sagen. Weil ich dann weiß, wer du in Wirklichkeit bist.«
»Ich bin John Oswald.«
»Nein, das bist du nicht. Es gibt in ganz Connecticut niemanden namens John Oswald, der so aussieht oder so klingt wie du.« Ich versuchte, meine Hand wegzuziehen, aber sie hielt sie fest. »Bela Chalupnik ist verschwunden. Der Typ vom Sicherheitsdienst, mit dem wir in der Bar gesprochen haben, hat das in der Personalabteilung gemeldet, und Ron Irving hat mich in sein Büro bestellt, um mir Fragen über dich zu stellen. Meine Freundin hat ihm verraten, dass sie mir Belas Foto geschickt hat. Sie ist jetzt nicht mehr meine Freundin, wie du dir denken kannst.«
Ich erwiderte den Druck ihrer Hand.
»Was hast du Irving gesagt?«
»Dass ich dich an dem Abend im Sail Inn kennengelernt und danach nie wiedergesehen habe. Deshalb wollte ich mich heute mit dir in Old Saybrook treffen. Und deshalb habe ich versucht, dich im Internet zu finden.«
»Warum hast du ihm nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte ich.
»Welche Wahrheit? Ich kenne die Wahrheit nicht«, sagte sie und schaffte es irgendwie, nicht anklagend zu klingen. »Aber ehrlich, ich treffe mich gern mit dir, auch ohne zu versuchen, dich zum Sprechen zu bringen. Es ist okay, ich wollte nur einfach nicht, dass du glaubst, ich wäre zu blöd, um zu merken, dass du vermutlich nicht derjenige bist, der du zu sein behauptest.«
»Du bist alles andere als blöd«, sagte ich, während ich mich zurücklehnte und meinen Teller zur Seite schob.
»Es würde mich allerdings nicht stören«, meinte sie, »wenn du mir ein bisschen verraten würdest. Frauen mögen es nicht, wenn Männer sich nicht öffnen.«
»Hast du das in deinen Psychologiekursen gelernt?«
»Nein, das lernen wir von Geburt an von unseren Müttern. Übrigens, die Abschlussprüfungen sind nächste Woche. Wenn ich die dicke Arbeit abgeschlossen habe, habe ich meinen Titel.«
An diesem Punkt demonstrierte ich erneut mein Talent für Ablenkungsmanöver oder eher ihre Bereitschaft, sich ablenken zu lassen, indem ich mit ihr über Psychologie plauderte. Und so verlief der weitere Abend in einvernehmlicher Stimmung und endete wie immer auf dem Parkplatz, wohin ich sie zu ihrem Auto begleitet hatte. Sie öffnete den Wagen mit der Fernbedienung, und ich hielt ihr die Fahrertür auf.
Ehe sie einstieg, umfasste sie mein Gesicht mit beiden Händen und zog mich zu sich heran.
»Eines Tages musst du mich zu dir nach Hause einladen«, sagte sie beinah flüsternd. »Betrachte das als Anreiz.«
Und dann fuhr sie davon und ließ mich in einem Wust wirrer Gefühle zurück.
Collingsworth Machine Tools & Metals war 1854 gegründet worden und deshalb in Hartford etabliert, ein schlichter Betrieb, der großen Wert auf Langlebigkeit legte. Ursprünglich eine große Schmelzhütte, hatte er
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