Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
Terrains. Zu behaupten, meine Kenntnis der oberen Zehntausend von Greenwich sei rudimentär gewesen, hieße, die Situation vollkommen zu untertreiben. Wie bei jeder anthropologischen Studie einer menschlichen Teilpopulation musste man als Erstes einiges Grundwissen über ihren Lebensraum, die ihnen eigene Ausdrucksweise und ihre Verhaltensmuster zusammentragen.
Weshalb ich mich gegen den natürlichen Ekel, den diese Form des Kommentars in mir erzeugte, stählte und mit einer guten Primärquelle begann: Klatschkolumnen. Ich verglich New Yorker Quellen mit denen Connecticuts, baute eine Liste von Schlüsselwörtern auf, die die Suche vereinfachten, und hatte nach mehreren Stunden konzentrierter Arbeit eine kurze Namensliste in der Hand.
Darauf schrieb ich an Henry Eichenbach und hängte meine Liste an: »Wir wissen, wie beschlagen Sie im Feld des organisierten Verbrechens sind, wie sieht es mit Philanthropen aus? Ich weiß, dass es sich oft um ein und dasselbe handelt (den Witz müssen Sie nicht mehr reißen). Wie würden Sie die Personen gewichten, und wen würden Sie auf die Liste setzen oder entfernen?«
Eine Stunde später schrieb er zurück: »Nur in Greenwich? Interessant. Ihre Liste ist prima. Ich kann ein paar hinzufügen, aber die Spitze ist unbestritten – Esme ›Nitzy‹ Bellefonte und Aidan Pico. Pico ist ein großes Tier in der Investmentbranche – wie überraschend. Nitzys Familie hat die Galerie Bellefonte in Greenwich gegründet, basierend auf einer Sammlung abstrakter Expressionisten, die ihr Großvater in den Fünfzigern erworben hat, als der Rest der Welt diese Künstler für eine Bande von Trunkenbolden hielt, die in den Hamptons mit Farbe herumschmierte (in meinen Augen eine vollkommen korrekte Beschreibung). Heute ist sie ein öffentliches Museum, doch die Stiftung deckt kaum den Unterhalt. Nitzy hegt größere Ambitionen. Sie veranstaltet regelmäßig Spendengalas für den Ankauf zeitgenössischer Arbeiten in dem Glauben, sie wäre die rechtmäßige Erbin des legendären Geschmacks ihres Großvaters. Was, um fair zu bleiben, zum größten Teil stimmt. Ich nehme nicht an, dass Sie mir verraten werden, warum Sie fragen.«
»Ich möchte eine Party geben. Sie sind eingeladen.«
»Immer gern, ich suche meinen guten Anzug raus.«
Ich ging wieder online und las über das bezaubernde Paar Nitzy und Aidan, ihr Museum und die fortlaufenden Spendengalas. Es war schwierig, einen Ball vom anderen zu unterscheiden, die stets unter einem Motto standen, dennoch schienen »Kommen Sie als Ihr Lieblingsbösewicht«, »Ein Abend in der Oper« oder »Triff mich auf dem Forum« größere Mengen an- und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Diese Erkenntnis teilte ich Natsumi mit.
»Absolut brillant, Alex. Du hast die sozio-rituelle Gruppendynamik der wohlhabenden amerikanischen Philanthropen durchschaut.«
»Höre ich da ein bisschen Sarkasmus?«
»Ich habe zwar selber noch nie eine Spendengala für die Oberschicht ausgerichtet, aber ich konnte im Kasino einige coole Gesellschaften beobachten. Das ist genau meine Kragenweite. Auch wenn ich überzeugt bin, dass so was der Höhepunkt der Oberflächlichkeit, Banalität, ja des Reaktionären und Dekadenten ist.«
»Okay. Denk dran, du brauchst einen neuen Namen. Ein Pseudonym.«
»Mir hat Eiko immer gut gefallen, aber nicht so sehr wie Charlene.«
»Charlene?«
»Ich bin in New London groß geworden. Was erwartest du?«
»Dann nehmen wir Charlene. Charlene Grenouille.«
»Wir sind also verheiratet«, stellte sie fest.
»Es hilft, die Täuschung aufrechtzuerhalten.«
»Dann brauche ich einen Ring. Du auch.«
»Besorgen wir«, sagte ich.
»Und einen Verlobungsring«, sagte sie. »Um die Täuschung perfekt zu machen.«
»Du treibst die Kosten ganz schön hoch.«
»Du hast doch gesagt, wenn man betrügen will, dann ganz oder gar nicht.«
»Würde es dir etwas ausmachen, den Kauf zu erledigen?«, fragte ich.
»Das passt mir gar nicht, aber na gut.«
Ich schätzte Natsumi umso mehr für ihre Bereitschaft, alle diese lästigen Aufgaben zu übernehmen. Das gestattete mir, meine Aufmerksamkeit einem Thema zu widmen, über das ich absolut nichts wusste: moderne Kunst.
Das Vorurteil ist der Feind der Recherche. Menschen wie ich sind nicht nur darauf trainiert, unvoreingenommen an etwas heranzugehen, wir sind geradezu priesterhaft in unserer Hingabe an Objektivität. Anders kann man nicht arbeiten. Ich hatte mich noch nie mit irgendeinem Thema
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