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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbo
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fand
dort zwar nie Freunde, aber ich hatte Geld. Also begann ich fast schon
systematisch alles auszuprobieren, was verboten war: Alkohol, Hasch, Prostituierte,
kleinere Einbrüche und schließlich auch härtere Drogen. Mein Vater glaubte,
ich ginge ins Boxtraining, so dass er keine Fragen stellte, wenn ich mit
geschwollenem Gesicht, triefender Nase und blutunterlaufenen Augen nach Hause
kam. Ich verbrachte immer mehr Zeit in diesem Milieu, dort wurde ich wenigstens
in Frieden gelassen. Ich weiß nicht, ob mein neues Leben mir gefiel, die
Menschen um mich herum betrachteten mich als Sonderling, als einen einsamen
Sechzehnjährigen, mit dem sie nichts anzufangen wussten. Und das war ich wohl
auch. Nach einiger Zeit schlug sich mein Lebenswandel auch in meinen Schulnoten
nieder. Mir war es egal, aber Vater wachte dadurch auf. Vielleicht erkannte ich
in diesem Moment, dass ich endlich das hatte, was ich immer schon haben wollte:
die Aufmerksamkeit meines Vaters. Er sprach ruhig und voller Ernst mit mir, und
ich schrie ihn an. Manchmal war er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.
Ich liebte diese Momente. Dann schickte er mich zu meinen Großeltern nach Oslo,
wo ich die letzten beiden Jahre auf der weiterführenden Schule war. Was für
eine Beziehung hattest du zu deinem Vater, Roger?«
    Ich
notierte mir drei Punkte, die alle das Wort »selbst« enthielten: SELBSTSICHER.
HAT KEINE ANGST, SICH SELBST ZU ENTBLÖSSEN. SELBSTERKENNTNIS.
    »Wir
haben nicht viel miteinander geredet«, sagte ich. »Wir waren ziemlich
unterschiedlich.«
    »Waren?
Dann ist er also tot?«
    »Meine
Mutter und er kamen bei einem Autounfall ums Leben.«
    »Was
hat er gemacht?«
    »Er
war für das diplomatische Korps tätig. In der britischen Botschaft. Er hat
Mutter in Oslo kennengelernt.«
    Greve
legte den Kopf zur Seite und musterte mich. »Vermisst du ihn?«
    »Nein.
Und dein Vater? Lebt er noch?«
    »Wohl
kaum.«
    »Wohl
kaum?«
    Clas
Greve holte tief Luft und presste die Handflächen gegeneinander. »Er ist
verschwunden, als ich 18 war.
Ist abends nicht nach Hause gekommen. An seinem Arbeitsplatz haben sie uns
gesagt, er sei wie gewöhnlich gegen sechs Uhr gegangen. Mutter hat schon nach
ein paar Stunden bei der Polizei angerufen. Sie haben sich sofort darum
gekümmert, schließlich war das die Zeit, in der reiche Geschäftsleute überall
in Europa von linken Terrorgruppen entführt wurden. Es waren keine Unfälle
gemeldet worden, und auch in keinem Krankenhaus war ein Bernhard Greve
eingeliefert worden. Er stand auf keiner Passagierliste, und sein Auto war nirgendwo
aufgefallen. Er wurde niemals gefunden.«
    »Was
glaubst du, ist geschehen?«
    »Ich
glaube gar nichts. Vielleicht ist er nach Deutschland gefahren, hat unter
falschem Namen in einem Motel eingecheckt und es dann nicht geschafft, sich zu
erschießen. Möglich, dass er dann weitergefahren ist und sich irgendwo in
einem Waldsee ertränkt hat. Es kann aber auch sein, dass er auf dem Parkplatz
vor Philips entführt worden ist, Widerstand geleistet hat und eine Kugel ins
Genick bekommen hat. Vielleicht haben sie den Wagen dann samt meinem Vater auf
einem Schrottplatz abgestellt, wo er in die Presse oder in den Schredder
gekommen ist. Oder er sitzt irgendwo mit einem Drink mit Cocktailschirmchen in
der Linken und einer Nutte in der Rechten.«
    Ich
versuchte, in Greves Gesicht zu lesen oder seine Stimme zu deuten. Nichts.
Entweder hatte er diesen Gedanken schon zu oft gedacht, oder er war wirklich
ein eiskalter Teufel. Ich wusste nicht, was mir lieber war.
    »Du
bist 18 und
wohnst in Oslo«, sagte ich. »Dein Vater wird vermisst. Du bist ein junger Mann
mit Problemen. Was tut man da?«
    »Ich
habe die Schule mit Supernoten abgeschlossen und mich dann beim Dutch Royal
Marine Commando beworben.«
    »Commando.
Hört sich nach so einer Elite-Einheit an.«
    »Definitiv.«
    »In
der einer von 100 genommen
wird?«
    »In
etwa. Ich wurde zu einer Aufnahmeprüfung eingeladen, sie lassen sich einen
Monat Zeit, dich systematisch fertigzumachen, um dich dann - solltest du es
überlebt haben - über vier Jahre wieder aufzubauen.«
    »Hört
sich an wie etwas, was ich mal in einem Film gesehen habe.«
    »Glaub
mir, Roger, das hast du nicht in einem Film gesehen.«
    Ich
sah ihn an. Und glaubte ihm.
    »Später
bin ich zur Antiterroreinheit BBE nach Dorn gekommen. Da war ich acht Jahre.
Bekam die ganze Welt zu sehen. Suriname, die Niederländischen Antillen,
Indonesien, Afghanistan. Winterübungen in

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