Headhunter
trat dabei gegen einen kleinen
Gegenstand, der über das abgetretene Parkett rollte. Als ich nach unten
blickte, sah ich, dass überall auf dem Boden leere Patronenhülsen lagen.
»Ich
sterbe«, stöhnte er. »Was ist passiert?«
»Du
hast dich im Auto auf eine Spritze mit Suxamethonium gesetzt. Das ist so was
Ähnliches wie Curare.«
»CURARE!«
Er hob den Kopf und starrte mich an. »Du meinst dieses Pfeilgift? Ich habe
dieses Scheißzeug im Körper?«
»Ja,
aber anscheinend nicht genug.«
»Nicht
genug?«
»Nicht
genug, dass es dich umbringen könnte. Er muss sich in der Dosis verschätzt
haben.«
»Er?
Wer?«
»Clas
Greve.«
Oves
Kopf sackte wieder auf das Kissen. »Scheiße! Sag nicht, dass du Mist gebaut
hast! Hast du uns verraten, Brown?«
»Natürlich
nicht«, erwiderte ich und zog einen Stuhl ans Fußende des Bettes. »Die Spritze
im Auto hatte einen anderen ... Grund.«
»Einen
anderen Grund, als dass wir diesen Typ ... nach Strich und Faden beklaut haben?
Und was sollte das bitte für ein Grund sein?«
»Ich
will eigentlich nicht darüber reden. Aber die Spritze war auf jeden Fall für
mich gedacht!«
»Curare!«,
schrie Ove. »Ich muss ins Krankenhaus, Brown, ich sterbe! Warum zum Henker hast
du mich hierher gebracht? Ruf den Krankenwagen, sofort!« Er nickte in Richtung
einer Plastikskulptur auf dem Nachtschränkchen, die zwei nackte Frauen in der
69er-Stellung darstellte. Das musste wohl das Telefon sein.
Ich
schluckte. »Du kannst nicht einfach ins Krankenhaus gehen, Ove.«
»Kann
ich nicht? Ich muss! Kapierst du das nicht, du Idiot, ich geh sonst drauf! Ich
sterbe! Krepiere!«
»Hör
mir zu. Wenn die rauskriegen, dass du dieses Suxamethonium im Körper hast,
alarmieren die sofort die Polizei. Das Zeug kriegt man nicht einfach auf
Rezept, wir reden hier von einem der tödlichsten Gifte der Welt, genauso
gefährlich wie Blausäure und Anthrax. Die werden dir sofort das Kriminalamt
auf den Hals hetzen!«
»Na
und? Ich halte doch den Mund!«
»Und
wie willst du das erklären?«
»Mir
wird schon was einfallen.«
Ich
schüttelte den Kopf. »Dann hast du keine Chance, Ove. So eine gute Geschichte
könnte dir gar nicht einfallen, die das alles erklärt und obendrein plausibel
klingt. Du musst hier bleiben, verstehst du? Dir geht es ja auch schon wieder
besser.«
»Was
weißt denn du schon davon, Brown? Bist du vielleicht Arzt? Nein, du bist bloß
ein Scheiß-Headhunter. Mann ey, meine Lungen verbrennen. Ich hab ein Loch in
der Milz, und in einer Stunde streiken meine Nieren. Ich muss verdammt noch
mal ins Krankenhaus. SOFORT!«
Er
hatte sich im Bett aufgerichtet, aber ich drückte ihn wieder in die Kissen.
»Pass
auf, ich hol dir jetzt ein Glas Milch. Die neutralisiert Gifte. Im Krankenhaus
könnten sie auch nichts anderes für dich tun.«
»Als
mir Milch geben?«
Er
versuchte noch einmal, sich aufzurichten, aber ich drückte ihn entschieden
wieder nach unten. Plötzlich sackte er zusammen, und alle Luft schien aus
seinen Lungen zu entweichen. Seine Augäpfel drehten sich nach oben, sein Mund
öffnete sich leicht, und sein Kopf sank schlaff aufs Kissen. Ich beugte mich
über sein Gesicht und konstatierte stinkenden Tabakatem. Dann lief ich durch
die Wohnung und suchte ein Schmerzmittel.
Doch
ich fand nur Kugeln und Pulver. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der
Apothekenschrank, vorschriftsmäßig verziert mit einem roten Kreuz, war voller
Schachteln, die nach Auskunft des Etiketts Patronen vom Kaliber 9 Millimeter
enthielten. In den Küchenschubladen lagen weitere Patronenschachteln, manche
als »Blanks« gekennzeichnet, die wir im Offiziersanwärterkurs als »Fürze«
bezeichnet hatten. Platzpatronen. Mit denen schoss Ove wohl auf den Fernseher,
wenn ihm das Programm nicht behagte. Ein kranker Mann. Ich öffnete den
Kühlschrank und fand - neben einer Tüte fettarmer Milch - eine silberne
Pistole. Ich nahm sie heraus. Der Schaft war eiskalt. Die Marke - Glock 17 - war seitlich in den Stahl
eingraviert. Ich wog die Waffe in der Hand. Sie schien keine Sicherung zu
haben, war aber geladen. Mit anderen Worten, man konnte diese Waffe also
einfach nehmen und abfeuern, zum Beispiel wenn man in der Küche war und
ungebetenen Besuch bekam. Ich blickte zur Überwachungskamera an der Decke. Mir
wurde bewusst, dass Ove Kjikerud viel paranoider war, als ich bis dahin
angenommen hatte, sein Verhalten hatte fast schon krankhafte Züge.
Ich
nahm die Pistole und die Milch mit. Mit der Waffe konnte ich
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