Hear the Wind blow
ihn, was er sonst noch so tat, außer nähen und feuerwachen. Wie sich herausstellte, waren seine Tage ausgefüllter, als er anfangs hatte durchblicken lassen, da er noch für die Wetterstation einem kleinen Nebenerwerb nachging und alle paar Stunden den Luftdruck und die Außentemperatur ablas und die Art und Menge der Bewölkung notierte, sich alsdann aufs Dach schwang, um den Niederschlag zu messen, falls vorhanden, und auch die vorherrschende Windgeschwindigkeit und -richtung. Dann gab er offen zu, daß er dem Audubon-Tierschutz-Verein sowie dem Sierra Club angehörte und hin und wieder für sie einen Beitrag zu Themen von allgemeinem Interesse verfaßte, wie zum Beispiel über das Trinkverhalten der Sumpfmeise — das waren seine Worte, nicht meine.
»Trotzdem ist es ein ganz schön weiter Weg abends zur Kneipe an der Ecke«, sagte ich irgendwann zwischendurch.
»Das können Sie laut sagen«, meinte er. »Hier vor Ihnen sitzt ein Alkoholiker, also je weiter, desto besser .« Dann zeigte er mir ein Farbfoto einer trostlosen, unbewaldeten Bergspitze; irgendeine Holzfällerfirma war dort durchgefegt und hatte alles abgemäht, was Äste hatte, ein Immobilien-Albtraum, der aussah wie etwas, das vom Dritten Weltkrieg übriggeblieben war.
»Lucky Mountain « sagte er voller Stolz. »Und eines Tages wird er ganz mir gehören. Können Sie sich vorstellen, wie es in zwanzig Jahren aussieht, wenn neuer Wuchs die ganze Scheiße da oben verdeckt hat ?«
Ich verneinte.
»Ich will Ihnen mal was sagen«, sagte er und lief aufgeregt auf und ab. Er erspähte schon wieder einen losen Faden und bückte sich, um ihn aufzuheben. »Ich wohne hier umsonst, oder fast umsonst, brauch nicht viele Klamotten, und die mache ich größtenteils selber, darum wandert fast alles von meinem gar nicht mal so kleinen Gehalt in den Ankauf von Lucky Mountain , im Moment noch als MM-22-Sechs auf einer Holzfällerkarte geführt, und sagen wir zehn Riesen im Jahr über einen Zeitraum von fünfzehn, damit kann man schon einen Haufen Berg kaufen, besonders, wenn er so aussieht wie dieser hier.« Er verstaute das Foto wieder sorgfältig. »Sie müssen mich da mal besuchen kommen«, fügte er hinzu.
»Gern«, sagte ich. »Wo ist er denn ?«
»In Alberta, grob gesagt«, antwortete er und grinste.
»Dann wird er ja leicht zu finden sein«, sagte ich.
Ich trank meinen Kaffee aus wie ein braver Junge, lehnte einen zweiten ab und sagte, daß wir uns auf den Weg machen müßten, leider.
»Was ist eigentlich los ?« fragte Lucky, während er die Luke im Fußboden hochzog. »Ist Chico irgendwas zugestoßen ?«
»Grob gesagt«, meinte ich. Er grinste wieder, dachte ich jedenfalls. So genau konnte man das unter all dem Bart nicht erkennen.
Der Abstieg war leichter als der Aufstieg, weil ich ja vorher wußte, daß es nur eine einfache Tour war, aber das machte sie auch nicht spaßiger. Ich habe mal meinen Psychiaterkumpel Al gefragt, wo Höhenangst herkomme, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was er geantwortet hat. Wahrscheinlich: Ruf meine Sekretärin an und laß dir einen Termin geben. Lucky begleitete uns wie ein guter Gastgeber nach unten, er zog eine ziemliche Show ab, indem er die Leitern runterhangelte und dabei nur seine Hände zu Hilfe nahm.
Nachdem Ricky und ich unseren Weg zur Hauptstraße hinuntergerumpelt waren, fragte ich ihn, ob es ihm was ausmachte, eben kurz an einer passenden Stelle anzuhalten. Er sah mich verständnislos an, tat aber, was ich verlangte. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, fragte er:
» Que pasa , amigo ?«
»Ich werde Ihnen sagen, was passiert, amigo «, sagte ich und schüttelte traurig den Kopf. »Hüten Sie sich vor sympathischen, anständig aussehenden jungen Männern mit Babygesichtern .«
10
Für Leute in meinem Beruf gibt es keine Arbeitszeiten, beziehungsweise keine festen, obwohl ich mir schon Mühe gebe, zu den Zeiten im Büro zu sein, die auf dem Schild an der Tür angegeben sind. Aber wäre es nicht völlig bescheuert, wenn man schon sein eigener Chef ist, morgens nicht später im Büro aufzukreuzen oder abends früher nach Hause zu gehen oder einen Tag freizunehmen , um hin und wieder angeln zu gehen? Um diese scheinbare Freiheit auszugleichen, gibt es dann Zeiten, in denen ich Überstunden mache oder am Wochenende arbeite oder die ganze Nationale Woche des Hundes hindurch beziehungsweise an anderen großen Feiertagen.
Nachdem ich mich an diesem Abend von einem besorgten Ricky verabschiedet
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