Heart beats sex
eine Schneeballschlacht vielleicht. Eine Woche später siehst du schon die Weiden blühen und so weiter. Dazu kommt, dass deine Gefühle immerzu wechseln, wenn du nur genau darauf achten würdest. Alles zusammen ergibt eine bunte Wechselei, die dir auch bewusst wäre, wenn nur dein Bild vom immer schlechten Winterwetter dich für all die feinen Beobachtungen nicht so blind machen würde. Genauso ist es mit dem missgünstigen Nachbarn, der selbstsüchtigen Ehefrau, der zu schwierigen Mathematik und den bösen Hunden. Wenn du dieses Konzept von den schrecklich bösen Hunden nur einmal überwinden könntest und würdest mutig vor die Tür treten …«
»Nein! Warum sollte ich das tun?« Hatte er mich erwischt? War das eine Anspielung?
»Lassen wir das«, sagte er grinsend und sammelte weiter seine Zitronen in den Bastkorb.
So quälend die Frühe auch ist, mit ihr geht die Sonne auf, die meist über Ibiza schön strahlt. Sie zaubert ein Lächeln in mein Gesicht – MGM. Doch gleichgültig welches Wetter – morgens wünsche ich mir einen Kaffee. Da Papi oder Anna aber stets jeden Moment in die Küche kommen konnten und mich mit dem Kafee erwischt hätten (sie kontrollierten auch, wie viel Kaffee überhaupt in der Box war), brühte ich mir Roibusch auf. Zwar dauerte es länger, bis die Energie in jeder meiner Zellen geweckt wäre, bis sie mir die Augen öffnete, die Beine durchdrückte und mir half, den langen Marsch durch den Tag anzutreten, aber irgendwann war es geschaft und meine Zellen und ich sangen: »We are the champions!«
Ich füllte gerade den Tee in den Papierbeutel, als Papi in der Tür stand. Sogleich begann er mit einem weiteren Vortrag. Zwar hatte er selbstkritisch vor einiger Zeit die Regel aufgestellt : »Wenn du verstanden hast, worum es geht, sag einfach: Yes, Sir! Verstanden! Dann kürze ich meine Rede ab«, doch als ich diesmal »Yes, Sir!« sagte, erklärte er mir, dass es wie in den amerikanischen Kriegsfilmen klingen müsse. Als Zitat sozusagen. »Du darfst es nicht ernst nehmen, du sollst es als Zitat gebrauchen.«
»Warum?«
»Als Zitat bedeutet es Distanz und Spiel.«
Er wollte, dass ich Distanz zu mir hatte und all die Dinge um mich herum als Spiel sähe. Es gab verschiedene Spiele. Die Spiele der Lehrer, die meiner Eltern, die meiner Mitschüler
etc. Die Regeln erkennen und mitspielen. Aber nie mit echtem Geld, nie verbissen, immer locker, immer mit Distanz.
Distanz. Anna und ich waren uns einig, dass er mit all den großen Gestikulationen, mit seiner sich hebenden und senkenden Stimme unterschwellig seine Ängste und seine Wut ausdrückte. Und eben nicht Distanz – Distanz zu haben war seine Sehnsucht. Es waren Ängste und Wut, die aus seinem vergangenen Leben aufzusteigen schienen, aus seinen Niederlagen und Siegen, seinen Enttäuschungen und Begierden, obwohl er der Meinung war, das meiste entstamme den Genen. Manchmal behauptete er, zu all dem Distanz zu haben, aber mir kam es eher wie Arroganz vor. Eine Arroganz, die ich nicht leiden konnte. Sie berührte mich wie ein Messerschnitt in meine allmählich immer dünner werdende Haut.
Wenn ich mit Ulya und Adrian und ihren Freunden unterwegs war, mit Hank Schneider und seinen Anbetern, mochte ich Aufmerksamkeit. Ich mochte es, wenn sie mir sagten, dass ich volles Haar habe und mochte es, wenn sie über meine Scherze lachten. Bei Papi aber kam das nie vor. Sicher wäre es theoretisch denkbar gewesen, dass er mein volles Haar kommentiert, aber wenn, hätte er es nur im Zusammenhang mit Germany’s Next Topmodel getan und der Auforderung, mein Haar dort zu Markte zu tragen. »Das Haar auf dem Kopf des Menschen hatte immer einen Zweck. Es ans Fernsehen zu vermieten, wäre einer.«
Meine Antworten wurden dünner, und ich hatte zum ersten Mal den Gedanken, zu Hause auszuziehen. Eine Revolte, aber in Berlin hatte ich öfter bei Freunden geschlafen, und daher wäre es für mich kein Aufstand, sondern nur eine Verlängerung meiner Over-Night-Ausflüge. Außerdem würde ich es nur tun, wenn es mit Distanz möglich war. Vielleicht
wäre es ja nur eine kleine Änderung der Spielregeln. Nothing serious.
Ein weiterer Nervpunkt waren die Diskussionen, welcher Beruf sich für mich eignen könnte. Anna trank eine Tasse von meinem Tee und erinnerte an die alten Vorschläge: Regisseurin, Schauspielerin, Übersetzerin, Therapeutin, Sektenleiterin, Topmodel, Fernsehmoderatorin und, neu von ihr, Bäckerin. (Bäckerin, okay, als Erstes hätte ich
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