Heart beats sex
ihr eine Ohrfeige gebacken.) Da ich bei keinem dieser Berufe vor Begeisterung jauchzte, hieß es bei Anna, ich hätte kein Profil. Eine Lusche, ein Hauch im Wind, eine Schlaferin, ein Glückskeks mit einer Niete, ein hohler Baum. Sie wiederholte: »Da sehe ich kein Profil.«
»Doch, von der Seite habe ich ein sehr gutes Profil«, warf ich ein, was mir ein silberhelles Lachen von Anna eintrug und von Papi die Bemerkung, meine Umgebung habe nicht immer nur die Oberfläche im Auge.
Es stimmt, ich habe kein Profil. Später fragte ich Ulya, ob man kein Profil habe, wenn sich alle Interessen in Techno, Partys und Jungs erschöpften.
»Vergiss nicht Haarpflege und die Frage nach dem Beliebtheitsstatus bei Freundinnen«, sagte sie.
»Plus Pickel, kaputte Fußnägel und die beste Pizza«, meinte Sheila.
Und Jenny, die Beste in Mathe: »Und die zeitraubende Diskussion um die Komplimente von den Jungs.« Für Jenny kein Problem – sie kriegte keine.
»Jenny is Germanys next Top Profile«. Ulya lachte über ihren Witz.
Sollte ich Anna das Ergebnis dieser Diskussion berichten? Dass bei uns low profile mehr galt als eine große Ego-Nase? Wie sehr Jenny darunter litt, dass sie in Mathe so gut war und
die Beste in Philosophie? Nein, nein, nein und nochmal nein! Warum soll ich den Blinden führen, der mich mit dem Stock schlägt? Aufklärung war zwar das große Wort in unserer Familie, bei uns gab es sogar eine Pflicht zur Aufklärung (»direkt und offen«). Bei uns wurde der Blinde wieder sehend, der Taube hörte Flöhe husten und der Lahme ging auf Partys. Doch bei uns wusste man nicht, dass draußen in der Welt »Aufklärung« schon längst durch »Unterhaltung« ersetzt worden war und dass es überall um den schönen Schein ging und nicht um den tiefen Sinn (was im Philosophieunterricht das Thema für einen ganzen Kurs gewesen war). (Warum ist Houellebecq ein erfolgreicher Textverkäufer, war im Leistungskurs für Literatur gefragt worden. Antwort: Weil er in immer wiederkehrenden Szenen die Sinnlosigkeit beschreibt. Und: Längst sei die Sinnlosigkeit zum Attribut des guten Geschmacks geworden. Dazu Ulya: Außer die Ladies sind reich oder sexy.)
»Ich könnte ja Medien- und Marketingexpertin werden«, sagte ich zu Anna und Papi.
Nach der Diskussion, die darauf folgte, war ich nicht mehr in Stimmung, meinen Tee in der Küche zu Ende zu trinken. Solche Diskussionen standen nicht in unserem Vertrag. Fickt euch mit eurem Quark! Aber ich wollte mit ihnen nicht intim werden, murmelte nur »Muss zur Schule« und eilte in meine Hexenküche der Träume (mein Bad), um mich ganz dem magischen Zauber jener Cremes hinzugeben, die mir noch verblieben waren: fünfprozentige Panoxyl-Creme für meine Pickel im Wechsel mit der Desinfektionscreme Betaisodona, denn ich plante eine Nacht mit Hank Schneider und musste dafür eine pickelfreie Zone kreieren.
Ich versperrte mein Badezimmer (dieser Schlüssel war mir noch geblieben), holte tief Luft und wappnete mich für das nächste Kapitel meiner Enttäuschungen: Würde es mir möglich
sein, meinem Spiegelbild den wenigstens oberflächlichen Schein von Schönheit zu verleihen?
Das Schrillen von Papis Trillerpfeife ließ meine Eingeweide erzittern. Woher kam es? Vom Dach! Mein erster Gedanke: Er kontrolliert die Tibeter morgens! Schnell Sportzeug an, schnell die Treppe aufs Dach hinauf, die letzten Stufen langsam, gemächlich, als hätte ich nichts gehört, Tibeter-Matte zusammengerollt unter dem Arm.
Kaum tauchte mein Kopf über dem Dachfliesenrand auf, da sah ich ihn, wie er mir entgegentorkelte, ein zotteliger Grisley in seinen alten, zerrissenen Bodybuilding-Klamotten. Auf seinem lumpigen T-Shirt stand: At my age I have done it all, seen it all, but I can’t remember it all.
»Guten Morgen, Papi. Schon so früh auf?«
»Raus aus der Sonne!«
Schnell sprang ich unter das Dach zu meiner Rechten, das einer Sesselgruppe Schutz bot.
Er hatte diese Paranoia vor Hautkrebs, aber er nannte es »gesundheitliche Weitsicht« (das Schicksal adelte seine Weitsicht nicht sehr viel später mit einem malignen Basiliom).
Um Interesse zu signalisieren, setzte ich mich in einen der Sessel und schaute ihm dabei zu, wie er den Zyklus seiner großen Gestikulationen begann und Mundbewegungen machte, als würde er versuchen, einen mächtigen Piranha zu imitieren. Heute war er also Piranha, manchmal ein schnell zuschnappender Bär, ein kleiner Löwe kam auch vor. Vermutlich hatte er heimlich Nescafé
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