Heart beats sex
Hofseite hin schließen.
Um mich nach vorne zu bringen, stellte ich mir Liam am Mischpult vor, seine Finger lang und fein, wie sie die metallischen Knöpfe drehten und schoben, ein Remix von Opening Image aus dem Album Chiaroscuro, eine Mischung aus südamerikanischer Musik und afrikanischen Trommeln, ein starker Bass, der ewig blieb und Ewigkeit meinte, während sich die Musik änderte, das Südamerikanische ersetzt wurde durch die himmlischen Klänge von Arve Henriksen.
Ich schlich den Gang entlang zu Papis Schlafzimmer, öffnete die Tür leise, niemand da, und erledigte meinen Job.
Leider begegnete ich ihm auf dem Rückweg.
»Was machst du denn hier?«
Mir fiel nichts ein. »Ich wollte … für die Schule … Ich hatte es übernommen, nämlich im Musikunterricht …«
»Was denn nun?« CD ausleihen.«
»Ich wollte mir ’ne CD ausleihen.«
»Welche?«
Mein Blick fiel auf eine Picasso-Litho. »Maler.« Es war voll daneben, und ich bekam plötzlich eine Ahnung, wie schwierig die Dinge im Leben sind.
Er runzelte die Stirn. »Gustav Mahler?«
Schwierig waren die Dinge, okay, doch dann kam immer wieder die Wende zum Glück (ohne die die Menschheit vielleicht nicht überlebt hätte). »Ja, genau«, sagte ich, »die Dritte.«
»Es ist eine der wenigen mit sechs Sätzen.«
Ich nickte begeistert. »Deswegen. Mrs Jehudin möchte das als Beispiel vorspielen.«
Er musterte mich. »Mrs Jehudin? Du nicht?«
»Na ja …«
»Du hörst nicht gerne klassische Musik, stimmt’s?«
»Das würde ich nicht sagen …«
»Das verstehe ich. Die normalen Ohren nehmen klassische Musik nur als Sound wahr, wie ihr das nennt. In Wahrheit ist diese Musik sehr verfeinert. In den vollen Genuss kommt man nur, wenn man die Partitur lesen kann und das ganze Konstrukt wie ein Dirigent versteht. Im Konzert hört man dann die Musik, während der Geist mitläuft. Natürlich muss man dazu einiges studieren, was nicht schadet, denn dabei werden die Ohren geschult. Aber dann«, er lächelte mich wohlwollend an, »ist klassische Musik mit nichts zu vergleichen. Dann ist gewöhnliche Alltagsmusik überhaupt keine Musik mehr, sondern Lärm. Und mit Verlaub – all deine Freunde, all diese Jugendlichen dort im Tal«, er streckte den Arm Richtung Meer aus, »sie leben mit diesem Lärm und denken, es ist Musik. Ich spreche nicht von Intellekt, ich spreche von einem Geist, der Demut nicht kennt. Wie zum Beispiel von diesem
Hal Rubinstein oder wie der Kerl sich nennt, den du neulich erwähnt hast.«
Ich musste einmal tief Luft holen. Ich wusste zwar, wie Demut auf Englisch oder Spanisch heißt, konnte mir aber nichts darunter vorstellen. Demütigend, ja, demütigend war, was er sagte, gegenüber »all meinen Freunden im Tal«, und daher ließ ich ihn stehen und galoppierte in meine Bude zurück. Seine Worte stichelten in mir, und ich konnte mich so schnell nicht beruhigen. (Wollte ich auch nicht, denn dann dachte ich nicht an den Autoklau.) Ich setzte mich an meinen Rechner, klickte die Biografie von Gustav Mahler an und dann die von Hal Rubinstine, der mit richtigem Namen Nicolae Popescu hieß. Er war am 23. August 1976 in Bukarest geboren worden, hatte 1998 an der Universität von Bukarest sein Examen in Biochemie gemacht und war acht Jahre später nach London gezogen. Da war er dreißig. Wie Gustav Mahler begann er schon mit vier Jahren Klavier zu spielen, mit sechs kam Trompete dazu und wenig später war er Mitglied der Feuerwehrkapelle »Siegreiches Strahlen« in dem Dorf, in dem die Eltern sich vor dem Terrorregime zu retten versuchten. Bis zum Sturz Ceaucescus ’89 war jede westliche Musik in Rumänien verboten, doch als ’88 die ersten Auflösungserscheinungen einsetzten, beteiligte er sich sofort an dem verbotenen Hören von Jazzsendungen und ging ein Jahr später mit seinem vier Jahre älteren Freund Muerte auf die ersten illegalen Jazzpartys. Bei einem dieser nächtlichen Ausflüge landete er auf einer House Backyard Party, wo er zum ersten Mal fasziniert Acid House und Techno hörte. 1990 besuchte ein Onkel aus den USA die Familie. Er brachte als Zeichen westlichen Reichtums ein Saxophon mit, mit dem Hal sofort einer Jazzcombo beitrat.
Auf derselben Seite fand sich ein Hinweis auf ein Interview,
das vor kurzem der Musikkritiker Alvin Betham mit ihm gemacht hatte. Ich klickte mich dort hin und fand einen Film, in dem Hal zu sehen war, wie er auf einem Drehstuhl im Studio herumwippte.
»Mister Rubinstine, Sie haben schon sehr
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