Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
ich schob es immer wieder auf.
Aus dem Wohnzimmer hörte ich eine leise Stimme. Ich schlich mich zur angelehnten Tür und spähte hinein. Ken wanderte mit seinem Handy durchs Zimmer, ohne mich zu bemerken.
»Ja, verstehe ich«, sagte er. »Aber warum sagt sie mir das denn nicht selbst?«
Die Person am anderen Ende schien ihm eine lange Erklärung zu geben, denn Ken hörte zu und machte ab und zu: »Hmm. Hmm.«
»Egal«, schloss Ken, »dann soll sie doch sehen …!«
Ob es um Inés ging? Was war da vorgefallen? Hatte sie ihn abblitzen lassen, oder ging es um jemand anderes?
»Ja, tschau«, sagte Ken.
Ich wollte noch schnell in mein Zimmer huschen, doch die Diele knarrte laut unter meinen Schritten, und Ken guckte aus der Tür. Ohne Handy.
»Ach, du bist es!«, sagte er freundlich.
Das überraschte mich, denn ich hatte eine ganz andere Reaktion erwartet.
»Hi«, lächelte ich vorsichtig. »Hab ich dich gestört?«
»Nein.« Sein Lächeln wirkte ein bisschen traurig, aber echt. »Ist okay.«
Mir kam eine spontane Idee.
»Könntest du mir kurz bei Mathe helfen?«, fragte ich. »Die eine Aufgabe kriege ich nicht raus. Se… ähm, dein Vater hat gesagt, du bist gut in Mathe.«
»Ja«, nickte er. »Zeig mal.«
Wir setzten uns an den Küchentisch, und meine Hand zitterte beim Umblättern der Heftseiten. Ken sah es bestimmt, sagte aber nichts. Verflixte Aufregung! Immer im falschen Moment.
»Hier, die ist es«, sagte ich und wies auf eine Textaufgabe.
Ken las sie und schrieb mit Bleistift ein paar Zahlen an den Rand des Heftes. Er hatte nicht nur schöne Finger, sondern auch eine schöne Schrift. Das würde ich nie wegradieren. Nie.
»Ist leicht«, sagte er. »Guck, das rechnet man so.«
Während er mir den Rechenweg erklärte, konnte ich ihn endlich einmal ungestört aus der Nähe betrachten. Seine kurzen Dreads standen wie immer vom Kopf ab. Er hatte tiefdunkle, leicht mandelförmige Augen, mit dichten Wimpern. Die Farbe der Iris war schwer zu bestimmen. Noch braun oder schon schwarz? Gab es überhaupt schwarze Augen? Oder lag es an dem starken Kontrast zu dem Weiß seines Augapfels? Nein, auch als ich genauer hinsah, blieben seine Augen so dunkel. Ken hatte hübsch geformte kleine Ohren. Wie ein indischer Elefant, dachte ich. Fast hätte ich über den Vergleich gelacht. Ich konnte mich gerade noch beherrschen. Ken sah nun wirklich nicht aus wie ein Elefant. Eher wie ein Musiker, ein Sänger. Ein amerikanischer natürlich, kein deutscher. Ja, wie ein amerikanischer Popstar. Genau. Seine Nase war zwar etwas breiter, also afrikanischer, aber sein Mund, dieser Mund war voll und samtweich geschwungen. Mädchenhaft weich. Aus der Nähe gab diese feine Lippenlinie seinem Gesicht einen sanften Zug. Wenn sich beim Reden seine Lippen berührten, musste ich weggucken.
»So«, unterbrach Ken meine Gedanken. »Was kommt dann hier raus?«
»Jaaa«, sagte ich gedehnt und zog nervös die Augenbrauen hoch, »also, wie war das doch gleich im Mittelteil?«
Sein Blick zeigte neben Ungeduld auch eine Spur Belustigung. Zum ersten Mal sah er mir richtig in die Augen. »Hey, hast du eben überhaupt zugehört?«
»Jaja, klar«, versicherte ich schnell und zuckte gleichzeitig die Schultern. »Aber ich verstehe Textaufgaben einfach nicht. Nach dem ersten Satz steigt mein Hirn aus. Ich kann nichts dafür.«
»Wie geht das denn?« Ken lachte, und ich sog sein Lachen in mein Herz. »Ich hab es dir doch gerade Schritt für Schritt erklärt.«
Weißt du, was ich gerade gehört und gesehen habe, Ken? Weißt du, wie viel spannender es war, dein Gesicht zu erforschen? Deine Stimme zu hören, deinen Händen beim Schreiben und Erklären zu folgen? Deine olivgrüne Seele zu erahnen, die unter deiner braunen Haut schimmert? Weißt du, dass mir jede Textaufgabe sonstwo vorbeigeht, wenn ich neben dir sitze und du freundlich zu mir bist? Weißt du überhaupt irgendwas von mir, lieber Ken?
»Danke trotzdem.« Ich lächelte entschuldigend. »Ich schreib es morgen bei meiner Freundin ab.«
»Das ist ja wohl total bescheuert.« Ken schüttelte den Kopf. »Dann schreib hier wenigstens das Ergebnis hin. Es kommt 50 raus. Der Lösungsweg steht ja schon daneben.«
Die Wohnungstür wurde geöffnet und wieder geschlossen, und im selben Moment stand Merrie in der Küche. Aufmerksam sah sie von Ken zu mir. Ihr forschender Blick war entschlossen, jede noch so winzige Sympathieregung zwischen uns zu erhaschen. Ich konnte ihren Ärger, nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher