Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
Perlen auf der Nase, ihr Mund stand halboffen, als bekäme sie durch die Nase nicht mehr genug Luft, sie atmete in kurzen Stößen.
»Wir hören auf«, beschloss meine Mutter. »Nehmt die Hände weg.« Ich gehorchte sofort.
Doch Merrie war hypnotisiert. Wie ferngesteuert klebte ihr Finger am Glas und ließ sich immer weiter durch die Buchstabenkolonnen ziehen. Merrie sah nichts mehr, hörte nichts mehr, war nicht mehr da. War irgendwo, aber nicht mehr bei uns. Das war gruselig.
»Merrie! Merrie wach auf!« Meine Mutter nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Mach das Licht an!«, rief sie mir zu. »Schnell!«
Ich sprang hastig zum Lichtschalter. Grell knallte uns das Licht der Küchenlampe entgegen. Merrie schrie auf, das Glas fiel klirrend zu Boden, und die Kerze erlosch. Ich wollte gerade erleichtert aufatmen, als ich ein Knacken hörte und das Licht ausging. Von einer Sekunde zur anderen war es stockdunkel und totenstill. Jetzt wurde mir kalt. Richtig kalt. Von rechts und links und oben und unten, von überallher kroch eine Eiseskälte auf mich zu. Ich zitterte. Merrie begann leise zu schluchzen.
»Allah kahretsin!«, fluchte meine Mutter. »Allah kahretsin!«
»Hallo? Was macht ihr denn für einen Hexenspuk?«, rief Sepp fröhlich aus dem Flur. »Da fliegen einem ja die Sicherungen um die Ohren!«
Das Licht flammte wieder auf, und ich war noch nie so froh, einen Fußballkommentator reden zu hören, wie in diesem Moment. Sepp und Ken kamen mit arglosem Grinsen in die Küche geschlendert. Doch das gefror ihnen sofort.
»Was ist denn mit euch los?«, fragte Sepp beunruhigt. »Suzan? Was um Himmels willen ist hier passiert?«
Meine Mutter sah Sepp verstört an. Ken bückte sich, um eine Scherbe aufzuheben und warf sie gleich wieder hin. »Mist!« Von seiner Hand tropfte rotes Eisen auf die Dielen.
Wenig später saßen wir zusammen im Wohnzimmer. Obwohl es bereits weit nach Mitternacht war, schichtete Sepp Papier und Kleinholz im Kamin auf und zündete es an. Die wohlige Wärme, die sich daraufhin ausbreitete, tat uns allen gut.
»Jetzt mal ehrlich.« Sepp legte noch weiteres Holz nach und wandte sich an Merrie. »Du willst doch wohl nicht allen Ernstes behaupten, dass der Geist von Haile in der Küche war und gedroht hat, euch zu sich zu holen, weil ihr und eure Mutter nicht mehr in Äthiopien lebt?!«
»Doch«, sagte Merrie kleinlaut. »Er hat geschrieben, dass wir unsere Heimat verraten hätten und dafür büßen müssten.«
»Ich hätte das mit euch nicht machen sollen!« Schuldbewusst kaute meine Mutter an ihrer Unterlippe. »Es tut mir leid, Merrie! Sonst lief das immer gut. Wir hatten bisher immer nette Geister.«
»Glaubst du das wirklich?« Sepp schüttelte fassungslos den Kopf. »Ganz ehrlich? Eine erwachsene Frau wie du? Ich begreife das nicht!«
Meine Mutter zuckte mit den Schultern. »Ja.«
»Aber wenn das alles nur Quatsch ist, wieso tauchte dann der Name unseres Großvaters auf?«, fragte Ken nachdenklich. Seine Hand hatte einen kleinen Schnitt abbekommen, auf dem nun ein Pflaster klebte. »Und wieso war es Äthiopisch? Merrie spricht es nicht gut genug, und Suzan und Jannah können es überhaupt nicht!«
»Leute, jetzt kommt mal klar!«, sagte Sepp ärgerlich. »So ein Glas bewegt sich doch nicht von alleine! Ihr macht das doch mit euren Fingern! Das sind Muskelkontraktionen. Wer weiß, woran Merrie dabei gedacht hat? Das hat nichts mit Geistern zu tun, das ist Physik!«
»Papa, ich habe es fast gar nicht berührt!«, rechtfertigte sich Merrie, den Tränen nah. »Das ist von selbst passiert!«
»Na klar!«, spottete Sepp. »Der Geist lässt das Glas zu den Buchstaben tanzen! Tut mir leid, das ist so bescheuert, dass ich nicht mal drüber lachen kann!«
Merrie fing an zu weinen.
»Aber ich war’s nicht!«, schluchzte sie. »Wirklich nicht!«
»Menschenskind, und ich dachte, ihr macht da ein lustiges Spielchen!«, stöhnte Sepp. »Hätte ich das gewusst …!«
»Lass sie zufrieden!«, schimpfte meine Mutter. »Das Mädchen kann überhaupt nichts dafür!«
Sepp warf ihr einen genervten Blick zu. »Wie auch immer, ich möchte nicht, dass du so etwas noch mal mit meinen Kindern machst! Dein komischer Hokuspokus hat dir und den Mädchen völlig unnötig Angst gemacht!«
»Wie du meinst!«, knurrte meine Mutter beleidigt und verließ den Raum, um Sekundenbruchteile später mit einem meiner Stiefel in der Hand wieder hereinzukommen. »Guckt mal, jetzt weiß ich, warum das
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