Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
Stuhl, stülpte das kleine Wasserglas um und stellte es in die Mitte des Kreises. Meine Mutter lächelte aufgeregt. »Übrigens, Merrie hat das früher mit ihren Cousinen auch schon mal gemacht.«
»Gibt es das in Äthiopien auch?« Erstaunt wandte ich mich an Merrie. »Ich dachte, das wäre ein türkischer Brauch?«
»Nein«, sagte Merrie leise. »In Äthiopien werden oft Geister beschworen. So, mit Gläserrücken, aber natürlich auch noch ganz anders.« Sie wirkte sanfter und feinfühliger als sonst. Ihr Ton stimmte auch mich freundlich. Irgendwie war es jetzt doch spannend.
»Okay, Mädels«, flüsterte meine Mutter. »Legt nun eure Zeigefinger auf das Glas, aber so, dass ihr es nur ganz leicht berührt.«
Als sich Merries langer brauner Finger, meiner und der dunkelrot lackierte Nagel meiner Mutter auf dem Glas trafen, hielten wir drei gleichzeitig die Luft an. Meine Mutter hatte die Augen geschlossen. Sie rührte sich nicht. Merrie und ich guckten uns verlegen an. Wie jedes Mal dachte ich: Eigentlich ist es ja Schwachsinn!
Meine Mutter öffnete die Augen, ich bekam Herzklopfen, und im gleichen Moment bewegte sich das Glas. Langsam schwenkte es von einem Buchstaben zu nächsten.
»Großer Geist, bist du da?«, raunte meine Mutter.
Ruckartig schnellte das Glas zum »Ja«.
»Bist du ein guter Geist?«, fragte meine Mutter.
Das Glas rutschte erst im Zickzack durch den Kreis und verharrte dann vibrierend beim »Ja«.
Meine Mutter runzelte die Stirn.
»Wie heißt du?«, wollte sie wissen.
Das Glas fuhr von H zu A, dann zu I. Dort blieb es stehen. Hai? Konnten auch Tierseelen ihre Geister schicken? Es bewegte sich wieder. Zuckte zu L und raste quer durch den Kreis zu E. Haile? Wer oder was sollte das sein?
Fragend sah ich meine Mutter an, die ebenso fragend ihre Augenbrauen hochzog. Merrie löste ihren zitternden Finger vom Glas.
»Mein Großvater«, hauchte sie erschrocken. »Das ist mein Großvater Haile. Er … er ist schon lange …«
Wenn Merrie hätte blass sein können, wäre sie es jetzt gewesen. Ihre schwarzen Augen waren aufgerissen, die Gesichtszüge verzerrt. Ihre Lippen bildeten eine scharfe Linie. Das Glas sauste unbeirrt von Schnipsel zu Schnipsel. Ich konnte der raschen Buchstabenfolge kein verständliches Wort entnehmen. Aber Merrie konnte es.
»Er schreibt auf Äthiopisch«, flüsterte sie, und ich bekam eine mächtige Gänsehaut. »Er schreibt …, er schreibt, ich soll weitermachen.«
Merrie legte ihren Finger so vorsichtig wieder ans Glas, als befürchtete sie, es könnte zerspringen.
»Ooorrrrrr! Das gibt’s doch nicht!« Sepps Geschrei drang durch die geschlossene Tür.
Das Glas rutschte vom letzten Buchstaben direkt zum »Nein«, fuhr einmal um den ganzen Kreis und verharrte wieder beim »Nein«.
»Er ist wütend«, murmelte meine Mutter. »Er fühlt sich gestört. Jannah geh, mach die Wohnzimmertür zu.«
Lautlos schlich ich rüber, schloss beide Türen und glitt zurück auf meinem Stuhl.
»Wir warten einen kleinen Augenblick«, flüsterte meine Mutter.
»Mir ist so kalt.« Merrie rieb ihre Hände aneinander, obwohl die Küche gut geheizt war.
»Wo genau ist dir kalt?«, fragte meine Mutter.
»Hier.« Sie zeigte auf ihre rechte Seite, »hier ist es besonders kalt.«
»Wahrscheinlich steht er da«, wisperte meine Mutter, und ich rückte näher an sie heran. Ein neuer Schauer rieselte über meinen Rücken. Was, wenn da wirklich der Geist von Merries Opa stand? Was, wenn er wirklich wegen des Krachs sauer war? Konnte er uns was tun?
»Kommt, wir versuchen es noch mal.« Meine Mutter legte als Erste ihren Finger wieder ans Glas, dann ich. Als Merrie es mit ihrer immer noch zitternden Hand berührte, schoss es augenblicklich los. So schnell, dass ich kaum hinterherkam. Unruhig folgten Merries Augen dem Glas und je mehr Worte es bildete, desto furchtsamer wurde ihr Blick.
»Merrie?«, flüsterte meine Mutter. »Was ist los? Was schreibt er?«
Merrie schüttelte nur den Kopf und starrte weiter auf das rasende Glas unter unseren Fingern.
»Merrie, sag was!«, bat meine Mutter. »Rede mit uns!«
»Ich kann nicht«, hauchte Merrie atemlos. »Ich kann …«
Plötzlich schmeckte ich Rot auf meiner Zunge. Ein metallischer, stumpfer Geschmack. Eisen. Es schmeckte nach rotem Eisen. Blut! Das war Blutgeschmack!
»Was sagt er?« Eindringlich suchte meine Mutter ihren Blick, doch Merrie starrte immer nur auf das hin- und herruckende Glas. Schweiß stand ihr in kleinen
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