Heartless 03 - Lockruf des Herzens
Jillian dabei beobachtete, wie sie leise vor ihm herschlich, spannten sich die Muskeln in seinen Schultern an. Er wollte nicht, dass sie hier war, wollte nicht, dass sie sich in Gefahr brachte, aber ihre Argumente waren überzeugend gewesen. Sie kannte das Haus, wusste, wie man hinein-und wieder herauskam - nichts anderes zählte.
Sie blieb vor einer kleinen, verwitterten Holztür stehen, die fast völlig mit Efeu überwuchert war. Er beobachtete, wie sie einen moosbedeckten Blumentopf aus Ton durchsuchte, bis sie einen schweren Eisenschlüssel zu Tage förderte. Triumphierend hielt sie den Schlüssel hoch, dann steckte sie ihn in das Schloss, öffnete die Tür und bedeutete ihnen, ihr ins Haus zu folgen. Clay folgte ihnen am Schluss.
»Hier lang«, flüsterte Jillian, sobald sie im dunklen Korridor standen. Adam folgte ihr durch den schmalen Gang, der in einen weiteren Korridor mündete. Nach links gelangte man in die Küche. Sie schlugen den Weg nach rechts ein und gelangten zu einer weiteren Tür. Jillian drehte den Knauf, schob die Tür leise auf, und sie traten in einen kleinen, fensterlosen Raum.
»Wir befinden uns in der Bibliothek des Grafen«, sagte sie leise, während sie im Dunkeln nach der Tranlampe aus Messing tastete, die auf einem langen Mahagonitisch stand. Clay zündete die Lampe an, und sofort fielen Licht und unheimliche Schatten auf die mit Büchern bedeckten Wände. Dann gingen sie weiter zur Tür, die in das eigentliche Arbeitszimmer führte.
Im Gegensatz zur Bibliothek handelte es sich hier um einen großen, weniger förmlichen Raum. Die abgeschabten Ledersofas und Sessel sowie ein Bild der schon vor langer Zeit verstorbenen Gräfin über dem Kamin zeugten noch vom früheren Lord Fenwick. Mit heruntergedrehter Lampe traten sie an die Fenster und schlössen die schweren Damastdraperien. Dann zündete Adam eine zweite Lampe an, und Clay drehte seine höher.
Er hörte, wie Jillian einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Zumindest hatten sie es bis hierhin geschafft.
Im weichen gelben Lichtschimmer konnte er ihr Gesicht sehen, das blasser war, als es sein sollte. Die Linien um ihren Mund zeugten von ihrer inneren Anspannung. Sie starrte auf den Teppich, der auf dem polierten Holzboden lag, die Stelle, an der der alte Graf gelegen hatte, nachdem er ermordet worden war. Ihr Gesicht wurde noch blasser.
Verdammt. Er hätte nicht zulassen sollen, dass sie mitkam, hätte eine Möglichkeit finden sollen, sie davon abzuhalten. Er hatte gewusst, dass die Erinnerung und damit die Trauer zurückkehren würden.
Er liebte sie. Irgendwann im Laufe der langen, schlaflosen Nacht hatte er dieses Wissen endlich akzeptieren können. Jetzt wollte er sie beschützen, sie halten und das Leid lindern, das er auf ihrem Antlitz sah.
Doch jetzt war dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Ihr Leben hing davon ab, dass sie irgendetwas Nützliches fanden, und er hatte vor, das Beste aus jeder Sekunde zu machen.
Er trat zu ihr und schlang einen Arm um ihre Taille. »Zeig mir das Geheimfach«, sagte er zu ihr, um so bewusst ihre Gedanken von den Erinnerungen an die Vergangenheit loszureißen. Sie nickte und ging zu dem großen Rosenholzschreibtisch vor dem Fenster. Sie setzte sich auf den Lederstuhl mit der hohen Rückenlehne, griff unter den Tisch und betätigte einen kleinen, versteckten Hebel. Als sie die mittlere Schublade aufzog, sprang eine weitere Lade dahinter auf.
Leider war sie leer.
»Du machst dich in der Bibliothek an die Arbeit«, sagte er und ignorierte die Enttäuschung, die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete. »Clay und ich werden in diesem Zimmer auf die Suche gehen.«
»In Ordnung.« Sie drehte sich schon um, als er ihr Handgelenk ergriff, sie zurückzog und ihr einen schnellen, festen Kuss gab. »Wenn hier irgendetwas schief läuft, verschwinde so schnell, wie du kannst. Lauf zur Kutsche. Lance wird dich nach Hause bringen.«
Ihr Blick wirkte noch beunruhigter, aber sie widersprach ihm nicht. Sie küsste ihn nur noch ein letztes Mal, dann eilte sie davon. Er hoffte, dass sie wirklich tun würde, was er gesagt hatte, wenn etwas schief ging.
Adam wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zu und begann die Schubladen zu durchsuchen, während Clay einen kleinen Bücherschrank neben der Tür näher in Augenschein nahm.
Sie arbeiteten wohl zwanzig Minuten schweigend, wobei Adam sorgfältig jede einzelne Schublade durchsuchte, sich durch Stapel von Papieren wühlte und jedes einzelne
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