Heartless 03 - Lockruf des Herzens
Christopher nun doch sein Sohn war?
Er dachte an die Jahre, die der Junge bei einem Vater gelebt hatte, der ihn misshandelte, und in denen er nicht genug zu essen gehabt hatte. Adam griff nach Christophers Hand. Sie war klein und warm, und irgendetwas schien sich in ihm zu lösen. Bald würde er verheiratet sein und irgendwann ein eigenes Kind haben. Die Erinnerung an Caroline und Robert quälte ihn jetzt nicht mehr so sehr wie noch vor ein paar Jahren.
Wenn er an Jillian dachte und die Zukunft, die hoffentlich vor ihnen lag, schien es irgendwie nicht mehr so wichtig zu sein, dass Christopher Derry Robert Hawthornes Sohn war.
Jillian ging den langen, marmorgefliesten Korridor von Rathmore Hall entlang auf den persischen Salon zu. Es war früher Nachmittag. Nach Tagen schien endlich mal wieder die Sonne, und doch fühlte sie sich wie die ganze Zeit seit ihrer Ankunft unwohl.
Dieses undefinierbare Gefühl verstärkte sich noch, während sie ihren Weg zu der Frau fortsetzte, die auf sie wartete. Es waren erst ein paar Minuten vergangen, seit der Butler, ein kahlköpfiger Mann mit buschigen Augenbrauen namens Henderson, sie darüber informiert hatte, dass Lady Sophia Hawthorne eingetroffen sei, um sie zu sehen, und nun im Salon auf sie warte. Es würde sich wohl um eine wichtige Angelegenheit handeln, hatte Henderson noch hinzugefügt.
Jillians Herzschlag beschleunigte sich, und ihr Instinkt sagte ihr, dass irgendetwas los war. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Grund die Frau haben mochte, sie aufzusuchen.
Schweigend betrat Jillian den wunderschönen persischen Salon, einen Raum mit hoher Decke, dessen Wände und Säulen aus schwarzgoldenem Marmor bestanden. »Lady Sophia?«
Die Frau mit dem silbrigen Haar drehte sich zu ihr um. »Ja, meine Liebe. Ich weiß, dass ich Ihnen erst einen Brief hätte schicken sollen, dass ich Sie sehen möchte, doch es ist ein Vorteil des Alters, dass einem solche kleinen Verstöße gegen die Etikette erlaubt sind.«
»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Henderson bringt gleich Tee. Möchten Sie sich nicht setzen?«
Lady Sophia, die im Laufe der Jahre bestimmt schon um einige Zentimeter geschrumpft war, setzte sich mit kerzengeradem Rücken auf das Sofa, und Jillian nahm ihr gegenüber Platz. Ein paar Minuten später kam der Tee. Jillian schenkte jedem eine Tasse ein, dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl.
»Henderson sagte, sie möchten mit mir über eine wichtige Angelegenheit sprechen.«
»So ist es.« Lady Sophia nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Ich bin hier, um mit Ihnen über eine Herzensangelegenheit zu sprechen.« Sie stellte die Tasse mit Untertasse auf das schwarze Lacktischchen neben dem Sofa. »Sie haben meine Nichte, Lady Margaret, kennen gelernt?«
»Ja. Ich mag sie sehr gern.«
»Sie mag Sie auch. Margaret ist ein wundervolles Mädchen. Nicht nur schön und intelligent, sondern auch freundlich und mitfühlend. Margaret gehört zu den Menschen, die wollen, dass alle glücklich sind, und dabei ihr eigenes Glück außer Acht lassen.«
Jillian nippte an ihrem Tee und hoffte, dass das gegen ihre Nervosität helfen würde. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen?«
»Dann sind Sie sich vielleicht nicht der Tatsache bewusst, dass mein Neffe vorhat, um Ihre Hand anzuhalten.«
Jillians Knie fingen unter ihren blauen Seidenröcken zu zittern an, sodass ihre Tasse klirrte. Das konnte nicht stimmen. Aber sie konnte das Gefühl der Hoffnung, das sie plötzlich durchströmte und sie ganz schwindelig machte, nicht unterdrücken.
»Ich kann an Ihrem Gesichtsausdruck ablesen, dass Sie mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet haben.«
»Nein. Nein, das habe ich nicht.«
»Und das ist auch richtig so. Denn im tiefsten Innern Ihres Herzens wissen Sie, dass das unmöglich ist.«
Jillian sagte nichts.
»Sicherlich erkennen Sie doch, dass es Adam gegenüber unfair wäre. Ob das Gerede über Sie nun stimmt oder nicht - und angesichts der Vernarrtheit meines Neffen neige ich dazu, das nicht zu denken -, ist jeder im ton davon überzeugt, dass Sie eine liederliche Frau sind. Dieser Eindruck wird sich nicht ändern. Sollten Sie die Gräfin von Blackwood werden, würde Adams ohnehin schon beschädigter Ruf völlig zerstört werden. Und das wäre Margaret gegenüber in höchstem Maße ungerecht.«
Jillians Hals begann zu schmerzen.
»Sie sind selber eine junge, unverheiratete Frau«, fuhr Lady Sophia fort.
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