Heaven (German Edition)
ersten Moment erkannte ich es gar nicht. Alles, was ich sah, waren braune Locken und eine blutige Nase. Aber dann keuchte ich entsetzt auf, ebenso wie Xavier neben mir. Es war Nicola Woods, Xaviers kleine Schwester.
Ich zog die kalte Luft so heftig ein, dass mir die Lungen wehtaten. Nikki trug nur ihren Schlafanzug – kurze Shorts und ein Top – und wehrte sich mit Leibeskräften. Sie war voller Angst.
«Nikki?» Xavier erbleichte und sprang auf sie zu, doch sofort packte einer der Reiter Nikki am Hals.
«Keine Bewegung», befahl Hamiel.
Xavier machte einen weiteren Schritt, besann sich aber gerade noch rechtzeitig und blieb stehen. Ergeben hob er die Hände. Es war, als wäre ihm gerade klar geworden, wie wahnsinnig jeder Schritt unter den gegebenen Umständen war.
«Einverstanden», flüsterte er. «Aber tut ihr nichts.»
«Xavier», rief Nikki. «Was machst du hier? Was geht hier vor?» Ihre Stimme zitterte heftig.
«Alles wird gut, Nikki», antwortete Xavier. Alles an ihm drängte zu ihr. Ich wusste, dass er nichts wollte, als ihr zu Hilfe zu eilen, dass jeder brüderliche Instinkt in ihm danach schrie, etwas zu unternehmen. «Alles wird gut, ich verspreche es dir.»
Nikki sah zu ihrem Peiniger auf und wand sich, so weit es ging. «Lass mich los!»
«Ruhig, Nikki», hörte ich Xavier leise murmeln. «Sei klug!»
«Xavier, was passiert hier?», schrie sie. «Wo bist du die ganze Zeit gewesen? Und was wollen diese Männer von mir?» Die Reiter hielten sie an den Armen fest, und sie versuchte, sich freizutreten, aber jeder Treffer, den sie landete, hätte ebenso gut auf Eisen treffen können, denn er zeigte keine Wirkung: Die Reiter schienen es kaum zu bemerken. «Du tust mir weh», schrie Nikki, und Xavier stöhnte frustriert auf.
«Was wollt ihr?», rief er. «Sagt mir, was ihr wollt.»
«Wir wollen, dass ihr euch trennt», antwortete Hamiel. «Das war von Anfang an unser Ansinnen.»
«Ihr wollt, dass Beth und ich uns nie wiedersehen?», fragte Xavier, als ob es das Dümmste wäre, was er je gehört hatte.
«Nicht nur.» Hamiel schüttelte den Kopf. «Bethany muss mit uns kommen.»
«Nein.» Xavier fletschte die Zähne. «Niemals.»
Ich sah förmlich, wie verzweifelt er nach einer Lösung suchte. Die Situation war ausweglos – seine Schwester gegen seine Frau. Aber ich würde nicht zulassen, dass er diese Entscheidung treffen musste. Und auch nicht, dass seiner Schwester etwas geschah. Xavier hatte bereits seine Freundin verloren, seinen besten Freund, den Priester seiner Kindheit und seinen Mitbewohner. Er hatte mehr Tote gesehen, als zu ertragen war, und dabei war er erst neunzehn.
Nikki kämpfte noch immer, und um sie ruhigzustellen, verdrehte der Reiter ihr den Arm hinter dem Rücken. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Xaviers ganzer Körper strahlte Wut aus, und instinktiv rutschte er vorwärts. Es schien ihn seine ganze Selbstkontrolle zu kosten, keinen Kampf loszuschlagen.
Bisher waren die Bedrohungen immer gegen uns beide gerichtet gewesen, immer hatte jemand versucht, uns etwas anzutun. Dies aber war anders. Ich hatte gedacht, dass Xavier und ich mit allem klarkommen würden, wir beide gegen die Welt, gegen welche unüberwindbaren Klippen auch immer. Wir hatten uns immer entschieden, zu kämpfen, unser Schicksal in die Hand zu nehmen, weil es das Wichtigste für uns war, zusammenzubleiben. Doch jetzt? Auf alle Eventualitäten waren wir vorbereitet, aber auf diese nicht.
Xavier trat einen Schritt vor. «Sie ist meine Frau. Ihr könnt sie nicht mitnehmen.»
Statt einer Antwort zog Hamiel eine schillernde Silberklinge aus dem Mantel und hielt sie Nikki an die Kehle. Ein Schrei entfuhr ihr, der sich in ein Gurgeln verwandelte, als einer der Reiter ihr die Hand auf den Mund hielt. Ihre Augen aber waren weit aufgerissen und voller Panik. Xavier hielt sich die Hand vor den Mund, als ob er sich gleich übergeben müsste. In seinem Blick lag so viel Qual, dass ich es kaum ertragen konnte. Ich wusste, er würde mich niemals Hamiel ausliefern, aber er würde auch nicht zulassen, dass seine Schwester starb.
«Es reicht.» Dieses Mal war ich es, die vortrat, mit einem so hohlen Gefühl im Bauch, als wäre er eine Trommel. «Jetzt ist es genug.»
Vielleicht hatte es nur genau einen Tropfen gebraucht, um das Fass zum Überquellen zu bringen, und dieser Tropfen war jetzt da. Ich hatte so viel Zerstörung gesehen, dass es bis zu meinem Lebensende reichte. Ich würde nicht zulassen, dass noch
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