Heaven (German Edition)
vor uns auftauchte, sagte mir meine Nase, dass wir zu Hause waren. Der Geruch des Meeres stieg zu uns herauf, überspülte uns durch das geöffnete Fenster und umarmte uns wie ein alter Freund. Als wir durch die Straßen der Stadt fuhren, hatte ich das Gefühl, dass sich nichts verändert hatte. Sie wirkte genauso verschlafen und ruhig wie damals bei unserer ersten Ankunft. Und es war wie Magie: Die idyllischen Geschäfte und weißen Herrenhäuser mit Säulen und Glockenturm löschten auf einen Schlag alle Unsicherheiten der vergangenen Monate in mir aus.
Es war inzwischen spät am Abend geworden. Trotzdem hofften wir, in der Hauptstraße ein Lokal zu finden, das noch geöffnet hatte. Wir entschieden uns für ein Steakhaus, in dem man uns nicht kannte. Trotzdem musterten die Bedienungen Gabriel und mich misstrauisch, als wir das Lokal betraten, fast, als ob wir ihnen irgendwie bekannt vorkämen.
«Ob das Vampire sind?», hörte ich das Mädchen flüstern, das die Theke abwischte.
«Mädel, du solltest nicht so viel True Blood sehen», sagte ihr Kollege und schüttelte belustigt den Kopf.
Xavier kicherte, während Gabriel und ich ihn verständnislos anschauten.
Xavier tätschelte mir das Knie. «Das erkläre ich dir später.»
Nach dem Essen freute ich mich darauf, die Nacht in meinem Zimmer in Haus Byron zu verbringen. Auf dem Weg schlugen Xavier und ich vor, zu einer Drogerie zu fahren und Zahnbürsten und andere Dinge zu kaufen, die wir durch den hastigen Aufbruch nicht hatten mitnehmen können. Ivy und Gabriel setzten wir vor Haus Byron ab.
Unser Besuch bei Walgreens verlief kurz, wir merkten kaum, was wir in unseren Einkaufskorb warfen. Zurück im Auto, wendete Xavier zu meiner Überraschung und fuhr auf die Hauptstraße zurück in Richtung Strand.
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26
Geisel
Es war ein Nachthimmel wie Samt, übersät mit Sternen. Ein kratergesichtiger Vollmond warf sanftes Licht auf die Straßen. Wie schön es war, zu Hause zu sein, wo alles so vertraut und jeder Ort voll Erinnerungen war. Xavier und ich liefen Hand in Hand zum Pier, wo ich ihn zum ersten Mal beim Angeln gesehen und meine Geschwister mich von ihm weggescheucht hatten. Ich fragte mich, ob sie den Hauch einer Ahnung gehabt hatten, wie sich unsere Leben entwickeln, in welche unendliche Geschichte wir hereingezogen würden.
Weder Xavier noch ich hatten schon Lust, nach Hause zu gehen. Dies war unsere Stadt, und wir waren viel zu lange weg gewesen. Wir brauchten Zeit, sie wiederzuentdecken und unsere alten Lieblingsorte aufzusuchen, vor allem aber, um uns zu versichern, dass sich in unserer Abwesenheit nicht zu viel verändert hatte.
«Es ist genauso verschlafen wie eh und je», murmelte ich. «Gutes altes Venus Cove.»
«Nichts Interessantes zu sehen und nichts los», antwortete Xavier. «Bis du aufgetaucht bist.»
«Stimmt.» Ich verdrehte die Augen. «Tut mir leid.»
«Braucht es nicht.» Er legte den Arm um mich und zog mich an sich. «Ich würde dich für nichts in der Welt eintauschen.»
Am Strand zog ich die Schuhe aus und vergrub meine Zehen im Sand. Wie lange es doch her war, dass wir uns eine solche Auszeit gegönnt hatten. Der Strand wirkte viel surrealer als in meinen Erinnerungen, die allerdings vom Tage herstammten. Die schwarzen Wellen schienen den Strand regelrecht zu erobern. Für eine Weile setzten wir uns schweigend auf den kühlen Sand. Der Horizont hatte sich schon längst mit dem Wasser zu einer undefinierbaren Dunkelheit vermischt. Lediglich ein paar weiße Yachten, die am Pier vertäut waren, schaukelten anmutig auf der Wasseroberfläche.
Plötzlich sprang Xavier auf.
«Komm, lass uns zu den Klippen gehen.»
«Wirklich?», fragte ich zögernd. «Bist du sicher? Da waren wir ewig nicht mehr.»
«Genau», antwortete er. «Obwohl dort so viel passiert ist. Ich habe das Gefühl, wir brauchen … einen Abschluss oder so etwas. Als ob wir noch einmal dort hingehen müssten und dann nie wieder.»
«Also gut.» Ich stand auf und gesellte mich zu ihm. «Abgemacht.»
Wir liefen den langen Strand entlang, bis wir an die Wasserlöcher, die sogenannten Rock Pools, kamen, eine Art kleine natürliche Aquarien, die das Meer zurückgelassen hatte. Selbst im Dunkeln konnte ich in dem seichten Wasser die herumschwirrenden Fischschwänze erkennen und die verdrehten Arme abgestorbener Korallen, die wie filigrane Skelette im Sand lagen.
Hinter einer Kurve tauchten sie plötzlich auf. Wir hatten es geschafft. Hoch
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