Heaven (German Edition)
aufgebraucht oder Xavier wehrt sich.»
«Streng dich mehr an!»
War es möglich, dass sich Xaviers Seele wehrte? Vielleicht glaubte er, dass es ein guter Kompromiss war, sein Leben für meines hinzugeben. Vielleicht glaubte er, dass der Rachehunger der Reiter jetzt gestillt war. Ich hörte förmlich, was er sagen würde: «Klingt nach einem fairen Deal.» Vielleicht versuchte er mich sogar noch im Tod zu schützen. Und auf gewisse Weise machte der Gedanke sogar Sinn: Wenn einer von uns tot war, war die Trennung vollzogen. Die Reiter hatten ihren Auftrag erledigt. Hatte Xavier geahnt, dass Hamiel ihn töten würde? Hatte er sich womöglich absichtlich als Opferlamm angeboten? Wenn ja, würde ich das niemals verwinden. Das Recht, eine solche Entscheidung ohne mich zu fällen, hatte er aufgegeben, als Pater Mel uns getraut hatte.
Plötzlich spürte ich, dass jemand den Raum betreten hatte. Ich fuhr herum und sah den jungen Sensenmann, den ich schon von unserer Hochzeit kannte. Er lümmelte mit dem gleichen dreisten, leicht gelangweilten Ausdruck auf dem femininen Gesicht im Türrahmen, schüttelte den Kopf und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf. Offensichtlich wartete er darauf, endlich eintreten zu können. Durch das Fächern seiner schwarzen Flügel wehte eine Brise in das Büro, die einen Hauch von Duftöl mit sich brachte.
«Entschuldigung, aber komme ich ungelegen?», fragte er gedehnt. «Soll ich später wiederkommen?»
Doch ich hatte keine Zeit für seine sarkastischen Bemerkungen. Mit jeder Sekunde, die verstrich, entglitt uns Xavier noch weiter.
«Wage bloß nicht, in seine Nähe zu kommen», warnte ich ihn, während sich Ivys ganzer Körper bei dem Versuch, Xavier wiederzubeleben, verkrampfte. Ich betete, dass sie stark bleiben und nicht aufgeben und ihn dem Himmel überlassen würde. Goldenes, maisfarbenes Licht umspielte die Stelle, an der ihre Handfläche auf Xaviers Brust lag. Es glühte und erlosch abwechselnd. Ich wusste, dass sie Zeit brauchte, um ihre heilenden Kräfte neu aufzubauen, Zeit, die Xavier nicht hatte. Plötzlich wurde mir klar, dass ihre verbleibende Energie nicht ausreichen würde, um Xavier zu retten.
«Das ist sinnlos», sagte der Sensenmann, als würde das klar auf der Hand liegen. «Seht ihr das denn nicht? Seine Seele hat sich bereits gelöst.»
«Gib sie uns zurück», brüllte ich. «Lass die Finger von ihm.»
«Es ist immer das Gleiche, jetzt bin ich wieder der Böse», seufzte der Sensenmann.
«Bitte nimm ihn nicht mit», flehte ich. «Sag ihm, dass ich ihn brauche. Sag ihm, dass …»
«Warum sagst du es ihm nicht selbst?», fragte der Sensenmann. Sein Blick wanderte an eine Stelle neben dem Sofa. Als auch ich dort hinsah, riss ich Mund und Nase auf.
Er war zwar nur eine schwache Silhouette, aber er stand direkt vor mir. Alles an ihm wirkte wie ausgewaschen, und wenn man sich nicht konzentrierte, konnte man ihn sogar vollständig übersehen. Xaviers Geist stand verloren neben dem Sofa und wirkte, als würde er nach dem Weg suchen. Ich atmete so heftig ein, dass Ivy aufsprang. Der Sensenmann verdrehte die Augen.
Ivy trat vor den Geist, der ganz still dastand. «Xavier? Kannst du mich hören? Du musst zu uns zurückkommen. Du bist noch nicht dran.»
Xaviers Geist sah sie verständnislos an, wendete dann aber den Kopf und blickte zum Sensenmann.
«Sicher, dass du nicht lieber mit mir kommen willst?», fragte der Sensenmann sanft. «Keine Sorge, du kannst mir vertrauen. Ich bin ein Vollprofi.» Ivy warf ihm einen wütenden Blick zu.
«Ach, komm», protestierte der Sensenmann grinsend. «Der Job ist manchmal ganz schön eintönig. Gönn mir doch auch mal ein bisschen Spaß.»
Der Geist verharrte regungslos, als ob er nicht wirklich begriff, was vor sich ging. Xavier war zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden gefangen. Ein schwieriger Übergang. Für diese Aufgabe waren Sensenmänner und Übergangsengel da, sie begleiteten Menschen von der einen Welt in die andere. Wir aber wollten Xavier zurückholen, und das war alles andere als einfach.
«Sieh mich an», sagte Ivy und griff nach ihm. «Du kennst mich, du kannst mir vertrauen. Ich führe dich in das Leben zurück, das du kennst.» Als ihre Finger seine bleichen, geisterhaften Hände berührten, wich Xavier erschrocken einen Schritt zurück.
«Was für ein jämmerliches Angebot», sagte der Sensenmann. Er sah Xavier an, wandte theatralisch den Kopf und feixte. «Bei mir wirst du nie wieder Schmerzen
Weitere Kostenlose Bücher