Heaven (German Edition)
haben. Alles, was dich bedrückt, wird vergessen sein. Ich bringe dich an einen Ort, an dem es keine Sorgen gibt. Keinen Tod, keine Zerstörung, kein Leid. Du brauchst mir nur zu folgen.»
Er warf Ivy einen triumphierenden Blick zu. Ganz offensichtlich war er sehr zufrieden mit seinem Auftritt. Xaviers Geist bewegte leicht den Kopf, die Worte des Sensenmanns schienen ihn angesprochen zu haben. Als er sich von uns wegbewegte, schimmerte die Luft. Instinktiv drehte ich mich nach meinem Bruder um: Ich war so daran gewöhnt, dass Gabriel uns aus schwierigen Situationen rettete. Heute aber er hatte seine eigenen Probleme. Was sollte ich tun? Einen Geist konnte auch ich nicht festhalten. Xaviers Körper lag verlassen da, und den Sensenmann zu töten war nicht möglich. Der Tod war nicht sterblich.
Xaviers Geist warf mir einen verwirrten Blick zu, als ob er versuchte herauszufinden, welches der richtige Weg war. Der Sensenmann lächelte neckend. «Suchst du den Ausgang? Komm mit mir. Ich zeige ihn dir.» Seine Stimme triefte vor Verheißung.
«Hör ihm nicht zu!»
Xaviers Geist blickte vom einen zum anderen, unsicher, wem er trauen sollte. Ich wusste, wie verletzlich er in diesem Moment war, wie leicht zu beeinflussen. «Du willst nicht mit ihm gehen», sagte ich drängend. «Du kannst nie wieder zurück. Und wir brauchen dich hier.»
«Sie lügt», sagte der Sensenmann. «Sie will dich nur behalten, weil sie Angst vor dem Alleinsein hat. Komm mit mir, und du wirst nie wieder Sorgen haben.»
Inzwischen mutete es wie ein Wettkampf zwischen mir und dem Sensenmann um Xaviers Geist an. Niemals würde ich zulassen, dass er ihn mir stahl.
«Nimm meine Hand», bat ich ihn. «Ich zeige dir, wie einfach das ist.»
Doch es funktionierte nicht. Xaviers Geist wirkte bloß noch verlassener und konfuser als vorher. Jeden Moment konnte ich ihn verlieren. Für immer.
Da spürte ich Ivys Mund an meinem Ohr. «Nur du kannst ihm jetzt noch helfen. Versuche es!»
Aber wie? , hätte ich sie am liebsten angebrüllt. Verglichen mit ihr und Gabriel, hatte ich nur wenig Macht, war schwach. Aber darüber durfte ich jetzt nicht nachdenken. Ich lief los, stellte mich direkt vor den Geist und stemmte die Hände in die Hüften. Sein Gesicht veränderte sich, als ob ihm etwas dämmerte.
«Hör mir zu, Xavier Woods!», schrie ich und versuchte ihn, an der Schulter zu packen, doch meine Hände glitten durch ihn hindurch und fielen schlaff hinab. «Denk nicht mal daran, mich hier zurückzulassen. Was ist mit Wir stehen das gemeinsam durch ? Wir hatten ein Abkommen: Wohin du gehst, gehe auch ich. Wenn du jetzt stirbst, muss ich einen Weg finden, dir zu folgen. Willst du, dass ich auch sterbe? Wenn du jetzt nicht mit mir zurückkommst, werde ich dir niemals vergeben. Hast du mich gehört? Du kannst mich hier nicht alleinlassen!»
Mein Ausbruch war so persönlich, dass Ivy aussah, als würde sie sich als Eindringling empfinden. Sogar der Sensenmann wendete sein bleiches Gesicht gen Decke, während er darauf wartete, dass ich fertig wurde. Der Geist starrte mich einen Moment lang an und streckte mir schließlich die Hand entgegen.
«Komm», flüsterte ich. «Komm zurück.»
Als Xaviers Finger meine berührten, spürte ich sie, sodass ich sie drücken konnte. Ich wusste, dass dieses Phänomen nicht lange anhalten würde, aber ich konnte ihn nicht hetzen. Behutsam zog ich ihn vom Sensenmann weg und zurück auf das Sofa, zu seinem leblos daliegenden Körper. Als Xavier auf sich selbst hinabsah, übernahm Ivy ihn. Sie bewegte ihre schneeweißen Hände, bis sie über Xaviers Schläfen schwebten. Um seinen Kopf entstand eine Art Heiligenschein aus Licht. Das Licht wanderte tiefer und breitete sich in seinem Körper aus wie feinster Nebel. Dann wanderte es weiter, bis es den Geist erreichte, ihn krakenartig umschlang und von ihm Besitz ergriff. Plötzlich fiel Ivy auf die Knie und warf die Arme gen Himmel. Mit einem Blitz verwandelte sich der sanfte Nebel in ein flammendes Lichtermeer, das gleich darauf verblasste. Mit ihm verschwand der Geist.
Auf dem Sofa keuchte Xavier auf, als ob er lange unter Wasser gewesen und jetzt wieder aufgetaucht wäre. Seine Lider öffneten sich, und ein Stöhnen kam von seinen Lippen. Schluchzend warf ich die Arme um ihn und umklammerte seinen Hals. Nie wieder würde ich ihn loslassen.
Der Sensenmann stand schmollend in der Tür. «Ihr habt gewonnen», sagte er und verbeugte sich leicht. Dann drehte er sich um und
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