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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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er die Leere nur aus den Filmen und Dokumentationen, die in der Schule gezeigt wurden. Jedes Kind in England kannte sie. Das Zentrum des nächtlichen Nichts war über der City entstanden, von dort aus spannte es sich südwärts bis mitten hinein nach Southwark und hinüber zu den Randbezirkenvon South Bank, nordwärts bis Spitalfields und weiter bis fast nach Soho. In den ersten Jahren reichte die fehlende Nacht sogar bis nach Kensington.
    David klappte auch dieses Buch zu und stellte es zu den anderen ins Regal zurück. In der Kajüte, die verdammt eng aussah, waren Bilder und Postkarten mit Reißzwecken an der hölzernen Wand befestigt. Schnappschüsse aus einem anderen Leben, schon wieder: Heavens Eltern, glücklich einander umarmend, ein rotes Plastikauto mit einem stolzen Mädchen darin, ein Grabstein mit Blumen davor, einige Postkarten mit Motiven von Filmen und Fernsehserien darauf:
Blackpool, Die Onedin-Linie, Das Haus am Eaton Place
. Daneben noch einige Bücher:
13 Clocks
von James Thurber,
The Box of Delights
von John Masefield und
Peter Pan
von James Barrie – und
Tom’s Midnight Garden
von Philippa Pearce. Daneben eine extrem zerlesene Ausgabe von J. D. Salingers
The Catcher in the Rye
und eine noch zerlesenere Ausgabe von
A Trip to the Stars
von Nicholas Christopher.
    Einen Moment lang stand David nur da und atmete das fremde Leben, das auf einmal so greifbar wurde. Er streckte die Hand aus und berührte die Buchrücken, als würden sie ihm Geheimnisse zuflüstern können, wenn er sie anfasste. Doch die Bücher schwiegen, wie gute Bücher es zu tun pflegen, wenn man sie berührt, ohne dass sie einem gehören.
    David wandte sich ab, lief durch den kleinen Raum und versuchte sich vorzustellen, wie wohl ein normaler Tag im Leben von Heaven Mirrlees aussah. Hier also wachte sie auf, dort in der Koje wischte sie sich den ersten Schlaf ausdem Gesicht. Sie streckte sich, zog sich an, betrachtete sich müde im Spiegel. Sie ging zum College, studierte, kehrte zurück und . . . was?
    Was tat sie dann?
    Er wusste nichts über sie. Wer waren ihre Freundinnen von dem Foto? Hatte sie einen Freund? Was studierte sie überhaupt? War sie oft hier oder meistens in Richmond?
    Überall standen Pflanzen. Sie wuchsen aus Töpfen und Kübeln und rostigen Gießkannen, manche waren sogar in Schubladen hineingepflanzt. Einige rankten sich bis zur Decke, wo sie die Lampions berührten.
    David ging zum Schrank hinüber und öffnete ihn. Er fand eine Tasche, wie sie es ihm gesagt hatte, und suchte die wenigen Sachen zusammen, die mitzubringen sie ihm aufgetragen hatte. Und wieder kam es ihm so vor, als sei er ihr in diesem Moment sehr nah. Er kannte sie noch nicht einmal zwölf Stunden. Und doch konnte er es nicht anders sagen. Heaven war ihm nahe.
    Mit einem Mal wurde die Tür zur Kajüte aufgerissen und zwei dunkle Gestalten kamen auf ihn zugestürmt.
    Die größere der beiden Gestalten warf ihn zu Boden, bevor David genau erkennen konnte, wer genau es war. Sie war stark und rief ihm etwas zu, das er nicht verstand, weil sein Ohr auf den Boden gepresst wurde und ihm der Schädel vom Aufprall brummte.
    Die andere Gestalt blieb in sicherer Entfernung an der Kajütentür stehen. Sie hielt etwas in der Hand. Einen Stock, einen Spaten, einen Besen? Irgendetwas in der Art, David konnte nicht genau erkennen, was es war. Es war nur eine Silhouette, kaum mehr.
    »Wer bist du?«, schrie die große Gestalt ihn an. »Was tust du hier?«
    Immer noch wurde David zu Boden gepresst. Wenigstens war die Stimme der Gestalt jung und rauchig und definitiv nicht die Stimme von Mr Scrooge.
    »Heaven schickt mich.« David konnte kaum sprechen, weil der Kerl ihn mit aller Kraft zu Boden drückte. Die Wunde an seinem Hals begann wieder zu pochen.
    »Das ist ja wohl die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe.« Die Stimme, die von der Tür herkam, gehörte einer jungen Frau, vielleicht zwei, drei Jahre älter als er.
    David schnappte nach Luft. »Hey, das ist keine Ausrede.«
    »Du räumst ihren Schrank aus und kramst in ihrer Wäsche herum«, sagte die Frau wütend, »ich kann mir kaum vorstellen, dass Heaven jemanden herschickt, um ihre Unterwäsche zu befummeln.«
    »Sehe ich genauso«, sagte der Mann.
    David erkannte den Ärmel eines bunten Hemdes. Der Mann roch stark nach Räucherstäbchen.
    »Ich ruf die Polizei«, sagte die Frau.
    David krächzte etwas.
    »Hast du etwas gesagt?«, fragte der Mann. Er klang nicht so, als würde ihn die Antwort

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