Heaven - Stadt der Feen
umschaute? Er hatte seine Verfolger noch nicht einmalin der Stille des Gartens bemerkt! Besser war es, wenn er sich selbst möglichst unsichtbar machte. Also tauchte er ein paarmal in der Menge unter, wechselte zweimal die Züge, schlug in den Gängen Haken und ließ sich vom Strom der Menschen treiben.
Er dachte über Mr Mickeys Verhalten nach. Er traute dem Mann keine Sekunde. Klar, man ließ ja auch eine millionen-schwere Erbin, die noch nicht einmal minderjährig war, einfach irgendwo in der Stadt wohnen, ohne zu wissen, wo sie war. Und sicher, man akzeptierte einfach so, dass sie mit einem wildfremden Typen abzog. Bat ihn nur, er möge
gut
zu ihr sein.
Das konnte glauben, wer wollte.
David trat aus der U-Bahn und sprintete die Rolltreppe hinauf, nicht, weil er einen Verfolger entdeckt hatte, sondern, weil er so schnell wie möglich dem Untergrund entkommen wollte. Ein paar Augenblicke später sah er Tageslicht und stand wieder im Freien.
Endlich, Marylebone.
Okay, jetzt noch rüber zum Boot, ein paar Klamotten holen, dann zum Charing Cross und dann nichts als in den Buchladen zurück!
Er fragte sich, wie viel er Heaven von dem erzählen sollte, was er erlebt hatte. Der Schnitt an seinem Hals tat höllisch weh. David fluchte leise und schlug den Kragen höher. Ein kalter Wind wehte hier oben in den Straßen, doch die Luft roch nicht länger nach Schnee, sondern nach dem vertrauten Londoner Regen. Wenigstens etwas, das sich wieder normalisiert hat, dachte David.
Es dauerte nicht lange, bis er Little Venice erreicht hatte.
Diese verborgene Gegend von Marylebone, die ihren Namen dem Kanal mit den vielen bunten Booten verdankt, die man dort vorfand, lag zwischen den Backsteinhäusern aus alter Zeit und krummen Bäumen. Es gab viele Brücken in dieser Gegend und schmale Uferwege mit Bänken, auf denen im Frühling, Herbst und Sommer verliebte und verträumte Paare saßen, knutschten, lasen oder einfach nur gar nichts taten.
Jetzt war wenig los in dieser Gegend. Vereinzelt lief ein Jogger den Uferweg entlang und hier und da ging jemand mit seinem Hund oder allein spazieren.
David atmete den Geruch des kalten Wassers ein und dachte an Cardiff, an seine Lieblingsstelle an der Küste mit ihrer Brandung und dem Geschrei der Möwen und den Schiffen, die in der Ferne vorüberfuhren. Zuletzt hatte er es nicht mehr oft geschafft, sich dorthin zu stehlen.
Die Boote schaukelten sanft auf der ruhigen Oberfläche.
Eine schöne Gegend. Ruhig und verträumt.
Postkartenromantik.
David konnte Heaven verstehen, dass sie dem Haus in Richmond entflohen war. Er wusste, wie es sich anfühlt, wenn einem die Luft abgeschnitten wird, weil das Leben, das jemand von einem erwartet, nicht das Leben ist, das man leben will.
Doch hier, am Wasser, roch es nach Freiheit.
Er suchte sich seinen Weg zu dem kleinen Hafenbecken, dort, wo der gewundene Regent’s Canal, der Paddington-Zweig und der Grand Union Canal aufeinandertrafen. Wie eine Oase lag es zwischen den alten Häusern mit dem Efeu, den Bäumen und Hecken, die die Gehwege säumten.
Auch hier ankerten jede Menge bunte Hausboote. Geschäfte und Restaurants befanden sich überall auf den Booten, zwischen denen sich manchmal Brücken spannten, die nur aus Brettern bestanden. Die Boote, die das Becken verließen, fuhren den Grand Union Canal hinauf bis zum Camden Lock.
Heaven hatte ihr Hausboot ziemlich genau beschrieben. Hellblau sei es, mit einem Stück Rasenfläche auf dem Dach und, nicht zu vergessen, einer Reihe von braunen Tontöpfen, aus denen verdorrte Pflanzen herausragten. Ein krummer Kamin wand sich aus dem Dach heraus.
Na klasse. Eine Beschreibung, die auf fast alle der Boote zutraf.
Langsam und suchend ging David auf die Eisenbrücke, von der aus er einen guten Überblick über Little Venice und das Becken mit den drei darin mündenden Kanälen hatte. Nur wenige Passanten schlenderten die Uferwege entlang. Sie alle sahen ein bisschen verloren aus, wie Statisten in einem Monty-Python-Sketch.
Endlich entdeckte er Heavens Boot. Ja, das musste es sein. Direkt daneben lag noch ein anderes Schiff, die beiden waren miteinander vertäut. Das zweite Boot war flacher, es hatte runde Fenster, hinter denen nichts zu erkennen war außer bunten Gardinen und Vorhängen.
David warf einen letzten Blick in alle Richtungen. Kein Mr Scrooge, kein Lumpenmann, kein Mr Mickey.
Na immerhin.
Er verließ die Brücke und ging zu der Anlegestelle, an der Heavens Boot lag. Das Hausboot,
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