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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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zurück.
    David suchte ihren Blick. »Woher soll ich das wissen?« Er spürte, wie er wieder die Kontrolle verlor. Nein, nein, nein, er musste ruhig bleiben. Julians Leben hing davon ab.
    Ein Gedanke kam in ihm auf, ein dumpfer Gedanke, der alles andere als beruhigend war. Zusammen mit dem Arzt kämen Polizisten. Immerhin hatte er eine Verletzung durch ein Messer gemeldet. Die Polizisten würden Fragen stellen, ziemlich viele Fragen, wenn sie die Sauerei hier erst gesehen hätten.
    Und das wirklich Allerletzte, das David im Moment brauchen konnte, war die Aufmerksamkeit der Polizei.
    Seine Gedanken rasten. »Erste-Hilfe-Koffer?«, fragte er Eve.
    Die schüttelte den Kopf.
    David betrachtete das T-Shirt, das Eve auf die Wunde presste. Es war völlig durchnässt von Blut. Er brauchte ein Stück Stoff, ein Handtuch, einen Verband, irgendwas.
    David suchte das Hausboot mit Blicken ab. Eine Schranktür stand offen. Die Dunkelheit dahinter war undurchdringlich.
    David verlor keine Zeit. Er lief zum Schrank, nahm zwei frische T-Shirts, zerriss sie im Laufen, kehrte zu Julian zurück und presste die Stoffstücke auf die Wunde. Dann sagteer zur Eve: »Du musst sie ganz festhalten, versuchen, die Blutung zu stoppen, bis sie da sind. Ich muss los.«
    Sie nickte nur.
    »Ich muss Heaven finden.« Er spürte den brennenden Kloß im Hals, als er sagte: »Sonst werden sie auch Heaven töten. Sie wollen ihr Herz.«
    Eve weinte noch immer, jetzt aber still. »Ihr Boot liegt kurz vor dem Camden Lock«, sagte sie und die Stimme schien einer Puppe zu gehören. »Julian hat es dorthin gebracht.«
    David wischte ihr eine Träne vom Gesicht. »Er wird es schaffen. Glaub mir, er kommt durch.«
    Aus der Ferne erklang eine Sirene.
    Eve schaute auf. Ein flüchtiger Schimmer Hoffnung huschte ihr leise über das Gesicht.
    »Sie kommen«, sagte David. Er fasste sie bei den Schultern, nannte sie beim Namen: »Eve!« Er sah ihr in die Augen, so ruhig, wie es ihm möglich war. »Eve!« Ihre Blicke trafen sich, Sekunden nur. »Es wird wieder alles gut werden.« Ihm war bewusst, dass die beiden nur durch Heaven und ihn in all das hineingezogen worden waren. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es tut mir so leid. Wirklich.«
    Eve nickte, nur zaghaft. »Es wird alles wieder gut werden, ja?« Jedes einzelne Wort kam ihr über die Lippen, als müsse sie es sich mühevoll buchstabieren.
    »Ja«, antwortete David, obwohl er natürlich nicht die geringste Ahnung hatte, ob überhaupt irgendwas wieder gut werden würde. Trotzdem. Manchmal musste man Dinge versprechen. Manchmal halfen Lügen, das Leben zu sehen, wie es wirklich war.
    Die Sirene wurde lauter. Es war mehr als nur eine. Davidwarf einen letzten Blick auf Eve und Julian. Der neue Verband war noch nicht durchnässt.
    »Finde Heaven«, sagte Eve. Und nickte ihm zu.
    »Viel Glück«, flüsterte er. »Und bis bald.«
    Noch ein Versprechen, das vielleicht eine Lüge war.
    Als die grelle, lichterloh heulende Sirene ganz nah war, schlüpfte er vom Boot. Er kam sich schäbig vor, weil er Eve allein ließ, aber einen anderen Weg gab es nicht. Er konnte hier nichts mehr tun. Und wenn die Polizisten ihn auf dem Boot finden würden, dann würde er die Nacht damit verbringen, Fragen auf einer Polizeistation zu beantworten, auf die er keine Antworten geben könnte. Sie würden ihn festhalten und kein Mensch würde das glauben, was er zu erzählen hatte.
    Er rannte aus der Kajüte und nach der glühenden Hitze kam ihm die Welt, die dort draußen im Schnee versank, so kalt wie noch nie vor. Die Dämmerung hatte längst eingesetzt. Er sah Fußspuren, die vom Kai aus in Richtung Bloomfield Road führten, doch viel zu bald verschwanden sie dort, wo die Spuren von breiten Autoreifen sich in den Schnee gruben.
    Sie hatten Heaven offensichtlich in ein Auto gezerrt und waren dann in Richtung Edgeware Road gefahren. Dort würden sich die Spuren verlaufen, sie konnten überall in der Stadt sein.
    David spürte, wie ihm die Knie zitterten. Direkt hinter ihm hörte er, wie zwei Wagen von der Warwick Avenue her heranbrausten und mit laut quietschenden Bremsen vor dem Hausboot anhielten. Die Sirenen wurden abgeschaltet.
    David drückte sich gegen eine Häuserwand, roch dasEfeu, das an ihr heraufkroch. Er spürte ein leichtes Flattern in der Luft und schnappte einen Moment später nach Luft. Direkt neben ihm, auf einem dünnen Efeuzweig saß ein Vogel. Er starrte ihn aus dunklen Knopfaugen eindringlich an und sein Gefieder war

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