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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Mann. Es ist nicht sicher, dass er all seine Pläne verwirklichen kann. Er braucht ärztliche Betreuung. Die findet er auf Sylt nicht.« Der Druck seiner Hand verstärkte sich. »Jedenfalls zurzeit nicht. Er hat mir jede Unterstützung zugesichert, wenn ich mich auf Sylt niederlasse und als Arzt praktiziere.«
    Geesche entzog ihm ihre Hand und griff nach dem nächsten Marzipanherz, damit es einen guten Grund dafür gegeben hatte, dass sie Leonard Nissen ihre Hand nicht überlassen hatte. »Sie wollen nicht mit mir in Hamburg leben?«
    »Wenn überhaupt … dann müsste es eine andere Stadt sein. In Hamburg leben meine geschiedene Frau und mein früherer Schwiegervater … Beiden möchte ich nicht mehr begegnen. Jedenfalls dann nicht, wenn ich wieder verheiratet bin.«
    »Das verstehe ich. Dann eben woanders.«
    »Es ist nicht so leicht, sich irgendwo eine Existenz aufzubauen. Sie stellen sich das sehr einfach vor. Auf dem Festland sind die Verhältnisse anders als auf einer Insel.«
    »Sie wollen also nicht?«
    Wieder erhob Dr. Nissen sich. Diesmal zog er Geesche mit sich in die Höhe. »Natürlich will ich«, sagte er mit weicher Stimme. »Ich bin glücklich, dass du dich für mich entschieden hast. Ich habe es nicht zu hoffen gewagt.« Nun zog er sie in seine Arme, griff in ihr Haar, um ihr Gesicht an seine Brust zu drücken, stellte dann aber fest, dass sie zu groß war, und sorgte dafür, dass sich ihre Wangen aneinanderschmiegten. »Alles Weitere wird sich finden«, murmelte er. »Wir werden so bald wie möglich heiraten. Und wenn du dann immer noch Sylt verlassen willst, werden wir sehen, wo wir uns niederlassen.«
    Geesche war nicht zufrieden mit dieser Antwort, aber sie sah ein, dass sie ihn nicht drängen konnte. Und ebenfalls sah sie ein, dass sie sich von ihm küssen lassen musste.
    Seine Lippen waren weicher als Marinus’ Lippen, sein Mund eroberte nicht, er tastete sich an ihren heran. Dr. Nissen schien noch keinen Mut zur Leidenschaft zu haben, aber sein Kuss war angenehm. Auch sein Körper war angenehm, sein Duft und der Geschmack seines Atems waren es ebenfalls. Wenn er ihr half, ihre Liebe zu Marinus zu vergessen, dann würde sie alles tun, um ihm eine gute Frau zu sein. Ganz fest nahm sie es sich vor, bevor sie spürte, dass ihr die Tränen kamen und ihre Lippen zu zittern begannen.

XV.
    Dr. Pollacsek konnte die Enttäuschung und die Verzweiflung nicht abschütteln, die ihm entgegengeschlagen war und seitdem an ihm haftete und sich nicht abklopfen ließ. In manchen Gesichtern hatte sogar Misstrauen gestanden, in anderen dagegen unverhohlene Abneigung.
    Zu Fuß war er am frühen Nachmittag an den Gleisen entlanggegangen, Richtung Osten, bis er an dem großen Unterstandangekommen war, den der für die Arbeiter hatte errichten lassen. Hier brannte im Winter ein Feuer, an dem sie sich aufwärmen konnten, hier meldeten sie sich bei Arbeitsantritt und gaben nach Feierabend ihre Arbeitsgeräte zurück. Hier versammelten sie sich auch, wenn es etwas zu besprechen gab oder der Lohn ausgezahlt wurde. Einige hatten anscheinend schon von dem Diebstahl der Lohngelder gehört und sahen dem Kurdirektor fragend entgegen, andere wollten es nicht wahrhaben und hatten ihre Sorgen beiseitegeschoben, wollten nichts davon wissen, bis sie von Dr. Pollacsek selbst gehört hatten, was geschehen war. Erwartungsvoll hatten sie ihn angeblickt, als er auf eine Kiste gestiegen war, um mit ihnen zu reden.
    Dann aber war es vorbei mit der Ruhe. »Wovon sollen wir unsere Kinder ernähren?«
    »Meine Frau wartet auf den Lohn. Meine Tochter braucht Medizin.«
    Dr. Pollacsek hatte in seine Taschen gegriffen und mit dem Geld, das er bei sich trug, versucht, die größten Nöte zu lindern, aber zur Beruhigung hatte das nicht beigetragen. »Ihr bekommt euer Geld«, hatte er immer wieder beteuert. »Aber ich muss es erst beschaffen. Ich bin bestohlen worden! Ein gemeiner Dieb hat alle Lohngelder geraubt.«
    Daraufhin war wenigstens in einigen Gesichtern Betroffenheit entstanden, in anderen aber war das Misstrauen sogar noch größer geworden. Anscheinend glaubten viele, Dr. Pollacsek wolle sich um ihre Entlohnung drücken.
    »So etwas ist auf Sylt noch nie passiert«, rief einer.
    »Ein Sylter kann das nicht gewesen sein!«, meinte der Mann, der neben ihm stand.
    »Fragt Heye Buuß!«, rief Dr. Pollacsek verzweifelt. »Der hat den leeren Tresor gesehen.«
    »Leer mag er ja gewesen sein!«, schrie ihm ein junger Mann ins Gesicht. »Aber

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