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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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die Dünen gewandert war, weil er Arndt nicht ansehen wollte, blieb nun an einem Punkt haften. Die Wut verschwand aus seiner Miene, der Schmerz, der sich dort ausbreitete, trat auf Arndt über und machte aus seinem drückenden Schuldbewusstsein etwas Unerträgliches. Ohne genauer hinzusehen, wusste er, dass es die Hebamme war, die durch die Dünen ging.
    Als sie die beiden Männer bemerkte, stockte sie, und Arndt glaubte schon, sie wollte zurück zum Strand fliehen. Aber dann richtete sie sich kerzengerade auf und setzte ihren Weg fort. Eine schöne, stolze Frau! Arndt gestand sich zum ersten Mal ein, dass sie gut zu seinem Bruder passte.
    Fragend sah er Marinus an, aber der schüttelte den Kopf und drehte Geesche mit einer solchen Nachdrücklichkeit den Rücken zu, dass es Arndt wehtat. »Du kannst ihr genauso wenig verzeihen wie mir?«, fragte er leise.
    »Ihr noch weniger«, gab Marinus bitte zurück. »Sie hat es aus Geldgier getan.«
    »Du tust ihr Unrecht«, gab Graf Arndt zurück. »Sie hat es getan, um ihrem Verlobten zu helfen.«
    Doch im selben Moment waren wieder der Hass da, die Bitterkeit und die Verzweiflung. »Was ihr getan habt, kann ich euch beiden nicht verzeihen. Dir nicht! Und Geesche auch nicht!«
     
    Als Geesche zurückkehrte, wusste sie, was geschehen musste. Hatte es, als sie dem Meer den Rücken zuwandte, noch ein kleines Aufbegehren in ihr gegeben, das Suchen nach einer Lösung, die sie weniger schwer treffen würde, so wusste sie in dem Augenblick, als sie Marinus mit seinem Bruder sah, dass sie nun für ihre Schuld bezahlen musste. Es gab jetzt einen Mitwisser, durch das Schweigen war das Schicksal nicht mehr zu lenken. Die Vergangenheit war allgegenwärtig, das musste sie einsehen. Sie hatte sich locken lassen von einem Irrtum, dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die Schuld dahinter zu verstecken. Aber sie war vom Schicksal geblendet gewesen und hatte übereifrig nach der Wahrheit gegriffen und sie Marinus entgegengehalten. Damit war der Augenblick gekommen, den ihr das Wetterleuchten in der Sturmnacht vor sechzehn Jahren prophezeit hatte.
    Von da an sah sie nicht mehr auf. Wenn sie jemandem begegnete, der ihr einen Gruß zuwarf, erwiderte sie ihn zwar, aber sie blickte niemandem ins Gesicht. Sie sah auch nicht in die Wolken oder den Möwen nach, sah nicht ins Wetter, fragte sich nicht, ob der Tag mit einem Gewitter enden könnte, und gönnte weder den üppigen Blumen hinter einem Steinwall noch der verdorrten Weide daneben einen Blick.
    Als Freda vor ihr erschien, schrak sie zusammen. »Suchst du nach mir?«
    Freda betrachtete sie erstaunt. »Hanna sagt, du warst zur Frühstückszeit nicht zu Hause.«
    Geesche nickte. »Ich musste raus. Zum Meer! Hanna hat die Arbeit allein geschafft?«
    Freda bestätigte es. »Elisa von Zederlitz braucht sie heute nicht, weil sie sich auf eine Einladung in die Villa Roth vorbereiten muss. Aber … ich habe mir Sorgen gemacht.«
    »Das brauchst du nicht. Es ist alles in Ordnung.«
    Freda zögerte, dann fragte sie: »Hast du mit Marinus Rodenberg gesprochen?«
    Geesche sah Freda nicht an, als sie antwortete: »Behalt das Geld. Versteck es gut, dann hast du was für schlechte Zeiten.«
    »Es soll wirklich mir gehören?«
    Geesche berührte ihren Arm, am liebsten hätte sie Freda an sich gezogen, so überwältigt war sie plötzlich von ihren freundschaftlichen Gefühlen.
    »Warum?« Freda konnte dem unverhofften Reichtum noch immer nicht trauen.
    »Frag nicht«, entgegnete Geesche. »Warum sollst du nicht mal Glück haben?«
    Dann schenkte sie Freda ein warmes Lächeln und verabschiedete sich von ihr. Sie war sicher, dass Freda ihr verwundert nachblickte, aber sie drehte sich nicht um. Sollte Freda ihr Glück für eine Weile genießen! Die Sorgen würden zu ihr zurückkehren, wenn sie hörte, was Geesche vorhatte. Das Geld von Marinus würde ihr dann über die erste Zeit hinweghelfen, bis sie einen neuen Gelderwerb gefunden hatte. Vielleicht sollte man ihr empfehlen, es als Badewärterin zu versuchen.
    Geesche war froh, als sie Dr. Nissen im Garten sitzen sah. Ohne zu zögern, ging sie zu ihm. »Ich muss mit Ihnen reden.«
    Leonard Nissen sah sie erstaunt an. »Worum geht es?«
    Geesche ging ihm voraus ins Haus, zögerte noch immer nicht, als sie in die Wohnstube trat und von dort in den Pesel ging.
    Dr. Nissens verwunderte Stimme folgte ihr. »Was ist geschehen, Frau Jensen?«
    Sie antwortete nicht, sondern öffnete die Lade, in der sie das Marzipan

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